»Films from the German Democratic Republic«

Die DEFA-Retrospektive im Museum of Modern Art in New York 1975

Vom 20. November bis 29. Dezember 1975 veranstaltete das Museum of Modern Art in New York unter dem Titel »Films from the German Democratic Republic« die erste Retrospektive von DEFA-Filmen in den USA. Das Programm umfasste 21 Spielfilme, die jeweils zweimal gezeigt wurden. Schon im Januar 1976 wurde es zu großen Teilen im Pacific Film Archive in Berkeley und im März in der Cinémathèque Québécoise in Montreal nachgespielt.i Zur Eröffnung wurden der früheste und der seinerzeit neueste Film der Auswahl gezeigt: Die Mörder sind unter uns (1946, Wolfgang Staudte) am Nachmittag und Jakob der Lügner (1974, Frank Beyer) am Abend. Der Botschafter der DDR, Rolf Sieber, sprach ein Grußwort, aus der DDR angereist war der Leiter des Staatlichen Filmarchivs, Wolfgang Klaue, der in seinem Einleitungsreferat daran erinnerte, dass die Filmproduktion der DDR in den USA bislang kaum zur Kenntnis genommen wurde und das Vorhaben daher eine Pionierleistung sei.ii Auch die Pressemitteilung des Museum of Modern Art sprach von der ungebührlich langen »kulturellen Stille« (cultural silence) zwischen beiden Ländern in Sachen Film, die mit der Werkschau nun beendet würde.

»Whatever image we have of the GDR comes from media other than cinema, for only three or four of the productions from East Germany have opened in movie houses in the United States – and that was in the late forties.«iii

In der Öffentlichkeitsarbeit des MoMA spielte eine prominente Rolle, dass die USA und die DDR erst ein Jahr zuvor offizielle diplomatische Beziehungen eingegangen waren. Dies schien nahezulegen, dass das Programm als kultureller Beitrag zum diplomatischen Tauwetter verstanden werden könnte. Wolfgang Klaue meint heute, dass die diplomatische Anerkennung der DDR dem MoMA erst den ausreichenden Rückenwind für das Vorhaben gegeben hätte:

»Ich will nicht sagen, dass das eine vordergründige Rolle gespielt hat. Aber das Museum of Modern Art war als völlig selbständige Institution auch nicht so wagemutig, etwas gegen die offizielle Politik zu tun. Das Programm ist sicher bei ihnen schon auf einer Warteliste gewesen, aber es ist erst zustande gekommen, als die [diplomatischen] Beziehungen offiziell reguliert worden sind.«iv

Auch die federführende Filmkuratorin des MoMA, Adrienne Mancia, hob in der Korrespondenz mit potenziellen Nachspielern wie dem Pacific Film Archive und dem American Film Institute das »exzellente Timing« hervor, das sich durch die Eröffnung der DDR-Botschaft in Washington ergab. Nach meinen Recherchen bin ich allerdings der Auffassung, dass die zeitliche Nähe zwischen den beiden Ereignissen eher ein willkommener Zufall war und erst in der Schlussphase der Vorbereitungen eine (dann tatsächlich förderliche) Rolle spielte. Misst man der Koinzidenz zu viel Gewicht bei, bringt man sich um die Einsicht, dass Mancia und Klaue selbst sowie andere wesentlich beteiligte Personen das Vorhaben aus persönlichen und fachlichen Motiven betrieben, und zwar bereits zu einem Zeitpunkt, als von diplomatischer Anerkennung noch keine Rede war und die Idee, ein DDR-Filmprogramm in New York zu präsentieren, noch den Reiz des Anachronistischen hatte. Erst dann wird auch verständlich, dass die Mitgliedschaft von DDR-Institutionen in supranationalen Zusammenschlüssen wie der FIAF eine wegbereitende Rolle bei der schleichenden Anerkennung als souveräner Staat spielte. Im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich konnten Kooperationen erprobt werden, für die es auf dem diplomatischen Parkett noch kein verlässliches Vokabular gab.v

Warm-Up: Robert Flaherty, Jay Leyda, Emile De Antonio

Eine erste erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem SFA und dem MoMA war die Robert Flaherty Retrospektive auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche 1964, für die das MoMA die meisten der Filme bereitstellte und auch bei der Recherche half. Die Flaherty-Retrospektive war auch das erste Projekt des SFA, an dem der amerikanische Filmhistoriker Jay Leyda mitwirkte. Leyda hatte von 1933 bis 1936 bei Sergej Eisenstein in Moskau studiert und anschließend mit Iris Barry begonnen, die Filmsammlung des Museum of Modern Art aufzubauen. Im anti-kommunistischen Klima der 40er Jahre geriet er mit seiner »sowjetischen« Biografie jedoch bald auf den Index. Mitte der 1950er Jahre verließ Leyda die USA, war ab 1959 im Staatlichen Filmarchiv in Peking angestellt, bevor er im Juni 1964 mit seiner Frau, der Tänzerin und Choreographin Si-lan Chen, in die DDR übersiedelte. Dies wurde ihm von Hans Rodenberg ermöglicht, den er noch aus Moskau kannte und der mittlerweile stellvertretender Kulturminister der DDR war. Bis Ende 1969 lebten Jay Leyda und Si-lan Chen in einem Neubau in Berlin-Friedrichsfelde, und Jay Leyda hatte einen fest dotierten Werkvertrag mit dem Staatlichen Filmarchiv der DDR.

Offizieller Anlass für Leydas Kommen war die Robert-Flaherty-Retrospektive gewesen. Noch von Peking aus hatte er geholfen, Kopien aufzufinden, Autoren und Texte für die geplante Publikation vorzuschlagen und mit Frances Flaherty korrespondiert, die er persönlich kannte. Leyda wurde gemeinsam mit Wolfgang Klaue Mitherausgeber der Publikation, die das SFA zur Retrospektive herausbrachte. Ohne die Filme aus dem MoMA wäre die Flaherty-Retrospektive nicht möglich gewesen, und mit Leyda hatte das SFA gewissermaßen ein Bindeglied zum MoMA im eigenen Haus. Der Erfolg der Retrospektive war für beide Institutionen der Beleg, dass die jeweils andere Seite ein verlässlicher Partner war, auch für Vorhaben, die aus den engen Kadrierungen des Kalten Krieges ausbrachen.vi

Ich erwähne diese Zusammenhänge hier, weil ich denke, dass sich durch sie ein kooperatives Klima zwischen dem SFA und dem MoMA entwickelte, von dem auch andere Akteur*innen profitierten und in dem, auf der formalen Basis der gemeinsamen FIAF-Mitgliedschaft, die Idee eines DEFA-Programms im MoMA entstehen konnte­. Ich sollte jedoch hinzufügen, dass Leyda selbst nicht als aktiver Fürsprecher eines solchen Vorhabens in Erscheinung trat. Seine Recherchen im SFA galten Filmmusik-Partituren aus der Stummfilmzeit, der deutschen Ausgabe seines Buchs »Films beget Films« (»Filme aus Filmen«), die 1967 im Henschel-Verlag erschien, sowie dem sogenannten »Embryo«-Projekt der FIAF, in dem es um die Katalogisierung von fiktionalen Filmen aus den ersten Jahren des Kinos ging und bei dem Leyda für das SFA federführend war. Für DEFA-Filme brachte Leyda kaum Interesse auf. Dem amerikanischen Filmjournalisten Herman Weinberg, der ihn um seine Meinung über Filme aus der DDR gebeten hatte, gab er im März 1965 zur Antwort: »The films made here? That’s another problem, but I have no intention of breaking my feeble lance on that windmill.«vii

Ein DEFA-Programm im MoMA erschien Leyda demnach wohl als ein donquichottisches Unterfangen. Kurz darauf stand jedoch genau dies erstmals im Raum. »We would be delighted at the prospect of such a show at the Museum of Modern Art, since we are, frankly, quite ignorant of what is happening in film in East Germany«viii, schrieb der damalige Leiter des MoMA Film Department, Willard Van Dyke, am 2. Dezember 1965 an Erhard Kranz von der Hauptverwaltung Film, der angeblich die Idee einer »East German Film Week« in die Welt gesetzt hatte. Eine Antwort ist von Kranz jedoch nicht belegt. Jay Leyda erhielt Van Dykes Schreiben in Kopie und er nahm darauf noch einmal in einem Brief an Eileen Bowserix Bezug: »I gather that higher levels here are contemplating the ›week‹ [gemeint ist die Idee einer East German Film Week, T.H.]«, schrieb er aus dem SFA am 13.12.1965, und weiter:

»Let me know what happens – I’d like at least two fingers in the choice. It could go in a nightmarish direction. A preliminary suggestion: don’t depend on the big fictional films, and be sure to get the best documentary shorts and even a few animations on to the programmes.«x

Es passierte dann erst mal nichts mehr und Leyda hakte auch nicht nochmal nach. Ein hartnäckiger Werber für eine »D.D.R Film Week« im MoMA war in diesen Jahren allerdings der Dokumentarfilmer Emile De Antonio, der ab Ende der 60er Jahre verschiedenste Kontakte ins Filmwesen der DDR aufnahm. Seine frühen Filme Point of Order (1964, über ein TV-Tribunal gegen den Kommunistenjäger Joseph MacCarthy) und Rush to Judgment (1967, über die zweifelhaften Ergebnisse der Warren-Kommission zur Ermordung John F. Kennedys) wurden 1965 und 1967 auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche gezeigt und wiesen De Antonio als militanten Gegner des US-amerikanischen Establishment aus. Für seinen nächsten Film, In the Year of the Pig (1968), eine Analyse zur Vorgeschichte des Vietnamkriegs, kam De Antonio auf der Suche nach Archivmaterial im November 1967 auch ins Staatliche Filmarchiv der DDR. Aus dem Besuch ging nicht nur ein lebenslanger Briefkontakt mit dem Dokumentarfilmer Peter Ulbrich hervor, der 1958 und 1966 in Vietnam gedreht hatte und De Antonio Schnittmaterial überließ. Beflügelt vom Gefühl des gemeinsamen Kampfes gegen den amerikanischen Imperialismus schrieb Emile De Antonio im Anschluss an diesen Besuch auch an den Leiter der HV-Film, Siegfried Wagner, und brachte die Idee auf »of exposing D.D.R. films in the United States«. Dafür skizzierte er ein Szenario, in dem Konrad Wolfs Ich war 19 (1967), ein Brecht-Filmprogramm, Helene Weigel als möglicher Gast und das Museum of Modern Art als Spielort erwähnt wurden, das zunächst aber die Gründung eines Komitees von Sympathisanten in New York vorsah, »die nicht nur willig, sondern auch fähig« wären, ein solches Vorhaben umzusetzen. De Antonio erwähnt neben Willard Van Dyke auch den New Yorker Filmverleiher und Kinobetreiber Dan Talbot sowie Jay Leyda, den er in Berlin getroffen hatte.xi Der Brief zeigt die zupackende Art, Dinge auf den Weg zu bringen, für die De Antonio berühmt und berüchtigt war. Er ist aber auch ein Beleg für die noch vage Vorstellung einer gemeinsamen Sache, für die eine »D.D.R. Film Week« einstehen sollte.

De Antonio war zwar wohl nicht der Erfinder dieser Idee, als den er sich später, als die Sache ohne sein Zutun Gestalt annahm, gegenüber Peter Ulbrich und Wolfgang Klaue in Erinnerung brachte. Es hat aber den Anschein, als habe er auf amerikanischer Seite für einige Jahre als einziger die Vorstellung eines dezidierten DDR-Filmprogramms am Leben erhalten, als sich das MoMA und das anfangs mitredende American Film Institute in Washington nur eine breiter angelegte Retrospektive des deutschen Kinos vorstellen konnten, in der auch einige DEFA-Filme gezeigt würden. Die DDR-Seite und namentlich Wolfgang Klaue hatten aber wenig Interesse an einer solchen gesamtdeutschen Schau. Jedenfalls wollte sich Klaue auf keine verbindlichen Vereinbarungen einlassen, bevor nicht ein Vertreter des Museum of Modern Art einmal zu Sichtungen ins SFA gekommen war und er bat auch Emile De Antonio um Mithilfe bei der Anbahnung eines solchen Besuchsxii.

Nägel mit Köpfen: Adrienne Mancia, Wolfgang Klaue

Es überrascht nachgerade, dass über Jahre immer wieder Interesse an einem DEFA-Programm signalisiert wurde, ohne dass mal jemand gekommen wäre, sich die Filme anzusehen. Der Austritt aus der institutionellen Unwissenheit des MoMA in Sachen DEFA-Filme begann erst, als Adrienne Mancia 1971 die Korrespondenz mit Wolfgang Klaue übernahm. Auch sie sprach zwar in ihrem ersten Brief zunächst noch von einer »retrospective of the history of German cinema from its inception until the late 1960s«, in der auch »a certain number of DEFA productions« berücksichtigt werden sollten (Brief Mancia an Klaue, 5.8.1971, BA DR140/652). Spätestens nach ihren Sichtungsbesuchen im SFA war sie jedoch der Auffassung, dass »films from the D.D.R. should not be confused with the long tradition of German cinema«, wie sie es drei Jahre später in einem Brief an Michael Webb vom AFI formulierte (BA DR140/55).

Adrienne Mancia kam für die Filmauswahl zweimal ins Staatliche Filmarchiv der DDR, Mitte Mai 1973 und Ende April 1974. Aus den vor- und nachbereitenden Korrespondenzen ihrer Besuche geht hervor, dass sie sich beide Male einem mehrtägigen Sichtungsmarathon unterzog und dass die gesehenen Filme sie darin bestärkten, das Projekt voranzutreiben (obwohl am Ende einige der Filme, für die sie sich einsetzte, nicht ins Programm kamen). Adrienne Mancia brachte für viele DEFA-Filme offenbar eine genuine Wertschätzung auf und ihr kuratorischer Ansatz machte ihr auch Filme interessant, die sie nicht für Meisterwerke hielt, die ihr jedoch für ein ausgewogenes Gesamtbild wichtig erschienen. Wofür die Retrospektive aus ihrer Sicht einstehen sollte, wird in ihrem späteren Programmtext klar ausgesprochen:

»The selection offers a rare opportunity to discover significant images and themes of a nationalized socialist industry. These cinematic signals make no pretense at objectivity – what national cinema ever did? – but we can nevertheless glean valuable information about the value system and concerns operating in that country. If we remember the tremendous problems facing the German Democratic Republic after the holocaust of the war, we can appreciate the monumental task not only of rebuilding a nation devastated morally and physically, but also the challenge of educating a people to a particular socialist viewpoint. This fundamental didactic need for a new political education permeates all aspects of form and content of this cinema. In fact, it would be more accurate to say that this is a cinema shaped by the force of a political ideology.«xiii

Das hier benannte ideologisch-didaktische Projekt eines sozialistischen Deutschlands kompromittierte die Filme für Adrienne Mancia keineswegs. Seine faktische Anerkennung ermöglichte vielmehr erst deren angemessene Wertschätzung. Im Kern ging es Mancia wohl darum, einer Kinematographie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die aufgrund von Vorurteilen und politischen Tabus in den USA bis dahin kaum zur Kenntnis genommen worden war. Dass einem solchen Vorhaben seinerseits ein didaktisches Element eingeschrieben war, entsprach durchaus einem bildungspolitischen Auftrag, den das Film Department des Museum of Modern Art auch für sich selbst in Anspruch nahm – »the challenge of educating the people«.

Federführend für das Vorhaben war auf DDR-Seite von Anfang an das Staatliche Filmarchiv. Pro Forma war die DEFA zwar Mitveranstalterin der Retrospektive und der DEFA-Außenhandel war auch in die Bereitstellung und den Versand der Kopien involviert. Die Korrespondenz mit dem MoMA, das Filmauswahlverfahren sowie die Abstimmung mit den übergeordneten Instanzen – Ministerium für Kultur, Hauptverwaltung Film und später der DDR-Botschaft in Washington – lagen jedoch zu großen Teilen in der Verantwortung des SFA und dort bei Wolfgang Klaue.

Eine der größten Herausforderungen, die das Programm stellte, war die Notwendigkeit, englisch untertitelte Kopien bereitzustellen. Die dafür notwendigen zusätzlichen Mittel kamen schließlich vom amerikanischen Verleiher Macmillan-Audio-Brandon, bei dem anschließend 16 der gezeigten Filme zum Verleih in den USA verblieben. Dieses Arrangement wurde von dem Filmhändler Gerald »Jerry« Rappoport vermittelt, der sich auf den Import von Filmen aus den damaligen Ostblockstaaten spezialisiert hatte und spätestens seit Mitte der 1960er Jahre als DEFA-Repräsentant in den USA agierte.xiv

Es hätten stets Konflikte in der Luft gelegen, wenn das Staatliche Filmarchiv DEFA-Filme im Ausland zeigte, sagte mir Wolfgang Klaue. DEFA-Außenhandel habe sich dann »immer lautstark zu Wort gemeldet und gesagt: Das ist unser Geschäft.«xv Bei der Retrospektive im MoMA firmierte die DEFA zwar in allen Verlautbarungen als Mitveranstalter, die Abteilung Außenhandel gab dem Vorhaben jedoch offenbar keine Priorität, was die ohnehin langen Entscheidungsprozesse mehrmals verzögerte und für Irritationen sorgte. Als es etwa darum ging, die aus der Auswahl ohne Begründung zurück gezogenen Filme Leichensache Zernik (1972, Helmut Nitzschke) und Apachen (1973, Gottfried Kolditz) kurzfristig zu ersetzen, stand mit Lotte in Weimar (1974, Egon Günther) ein attraktiver, aktueller Kandidat im Raum. Adrienne Mancia hatte den Film gerade in Cannes gesehen und noch vor Ort Herbert Bulla vom DEFA-Außenhandel gebeten, ihn für die Retrospektive freizugeben. Sie und Klaue hätten ihn gerne als Eröffnungsfilm gehabt. Als Mancia zwei Monate später noch immer auf eine Bestätigung wartete, schrieb sie an Klaue:

»There seems to be some kind of communications gap amongst you, me, and DEFA. […] If you feel there is something I don’t understand, please let me know.«xvi

Alsbald erfuhr Mancia, dass United Artists Lotte in Weimar bereits bei der DEFA optioniert hatte, allerdings zunächst nur für eine Kinoauswertung in der BRD. United Artists reagierte auf Mancias Anfrage zwar durchaus positiv, es lag aber keine englisch untertitelte Kopie vor, und eigens eine herzustellen, konnte oder wollte sich DEFA-Außenhandel nicht leisten. Lotte in Weimar wurde schließlich nicht im MoMA gezeigt.

Statt seiner konnte in letzter Minute noch Jakob der Lügner ins Programm genommen werden, allerdings trat DEFA-Außenhandel auch hier zunächst als Bremser auf, weil sie den Film nach dem erfolgreichen Berlinale-Auftakt erst noch auf internationalen Festivals verwerten wollten und dem MoMA die Freigabe mit Verweis auf lizenzrechtliche Gründe zunächst verweigerten.xvii Jakob der Lügner erwies sich dann als idealer Eröffnungsfilm, denn sein Berlinale-Erfolg war auch in der amerikanischen Filmpresse wahrgenommen worden und somit war er einer der wenigen Titel des Programms, die einem interessierten Publikum bereits ein Begriff waren, als es schließlich eingeladen wurde, 21 Spielfilme aus der Produktion des sozialistischen Deutschland in Augenschein zu nehmen. »Ready for inspection« titelte die New York Times zur Eröffnung des Programms.

»Mehr oder weniger erfolgreich«

Die Retrospektive wurde von allen Beteiligten als Erfolg gewertet. Die von Klaue gewählte Formulierung »more or less successful«xviii war dabei die bescheidenste. Durchschnittlich 200 verkaufte Tickets bei 42 Spielterminen war auch für damalige Kinoverhältnisse eine sehr gute Resonanz.xix Wolfgang Klaue erinnert sich, dass das Programm vor allem von den zahlreichen deutschen Emigranten und Emigrantinnen in New York enthusiastisch aufgenommen wurde:

»Für die sind manche DEFA-Filme, vor allem antifaschistischer Thematik, Entdeckungen gewesen. Sie waren hellauf begeistert und hätten mich am liebsten umarmt, denn das war absolutes Neuland für sie.«xx

Klaue selbst hatte im Übrigen sein Kommen erst in letzter Minute zusagen können. In seinen regelmäßigen Berichten an das MfK und die HV Film arbeitete er über lange Zeit mit zwei Szenarien, einer »minimalen« und einer »maximalen« Variante, die er jeweils separat budgetierte. Im Mai 1974 (nach Adrienne Mancias zweitem Sichtungsbesuch im SFA) war noch die Rede von einer vierköpfigen DDR-Delegation, die nicht nur nach New York reisen würde, sondern das Programm auch noch an andere Spielorte begleiten sollte.xxi Dieses Szenario reduzierte sich immer mehr, bis Wolfgang Klaue dem MoMA ein halbes Jahr vor dem geplanten Termin mitteilen musste, dass gar keine Delegation anreisen werde (Brief Klaue an Mancia, 10.3.1975, MoMA Film 478). Dabei war die Reiseplanung zu diesem Zeitpunkt nicht Klaues einzige Sorge. Obwohl das MfK die Durchführung der Retrospektive Anfang März 1975 endlich offiziell genehmigt hattexxii, lag bis Ende Mai keine verbindliche Zusage für die Zahlung der dabei vereinbarten Mittel (21.000 Mark) vor. Nachdem Wolfgang Klaue das Ministerium an diese offene Frage erinnert hattexxiii wurden Ende Juni nochmal 2000 Mark zusätzlich für Reisekosten in Aussicht gestellt. »Diese Summe reicht evtl. aus, um die Flugkosten zu bestreiten. Mit den Veranstaltern ist vorsichtig zu sondieren, ob sie die Aufenthaltskosten übernehmen können.«xxiv

Dennoch ging Wolfgang Klaue noch im Oktober davon aus, dass er nicht nach New York reisen werde. Erst am 21. Oktober signalisierte er Adrienne Mancia in einem Telex, dass er womöglich doch kommen könne und bat um Unterstützung bei der Beschaffung seines Visums. Eine Woche vor der Eröffnung telegrafiert er schließlich: »adrienne i will come to new york«xxv. Sein nächstes Telex ging bereits in die andere Richtung, aus dem Museum of Modern Art telegrafierte Klaue an das Staatliche Filmarchiv am Hausvogteiplatz: »gut und ohne koffer angekommen. bitte prüfen ob fliegender holländer geschickt wurde. wenn nicht sofort unsere kopie schicken.«xxvi

»Hausfrau Cinema«?

Die New Yorker Presseberichterstattung hielt sich zahlenmäßig zwar in Grenzen, war aber fast durchweg anerkennend bis positiv. Wie so oft jedoch war die gründlichste Rezension ein leidenschaftlicher Verriss. In der Wochenzeitschrift »Soho Weekly News« erschien nach der ersten Woche des Programms unter der Überschrift »Hausfrau Cinema« ein ganzseitiger Artikel von Richard McGuinness, der sich zunächst als einer der vielen Amerikaner vorstellte, der die DDR nur vom Hörensagen kenne:

»I’m told that people behave themselves in East Germany. They don’t jaywalk, they don’t throw cigarettes in the street and the country is rich in the sort of personalized human services lacking in the ugly old U.S. The rare glimpse of East German Cinema which will continue at the Museum of Modern Art through the end of December seems, for the most part, severely limited by this benign but very Prussian public-spiritedness.«xxvii

Der Artikel bespricht neun der gezeigten Filme, wobei lediglich bei den Beschreibungen von Konrad Wolfs Lissy und Der nackte Mann auf dem Sportplatz einige positive Adjektive zum Einsatz kommen. Am ausführlichsten widmet sich McGuinness Gerhard Kleins Der Fall Gleiwitz, den er für den »irritierendsten« der gesehenen Filme hält. Kleins gekonnter Einsatz avantgardistischer Schnitt- und Erzähltechniken lasse Gleiwitz zwar aussehen wie einen Film seiner französischen Zeitgenossen. Da ihm jedoch die selbstkritische Pointe dieser Techniken vollkommen abgehe, gerate sein moderner Look letztlich zu einer schicken Verpackung für die altbewährten anti-faschistischen Tropen. »Klein‘s modernism is a new way to manipulate.« Der Artikel schließt mit einer rhetorischen Frage, in der das positive Image, das die DDR Mitte der 1970er Jahre bei vielen amerikanischen Liberalen hatte, der ernüchternden Begegnung mit den Filmen dieses Landes gegenüber tritt: »Was it quite necessary for East Germany to kill its cinema in order to provide a decent material life for all of its people?«xxviii

Angesichts dieser Kritik, aber auch anlässlich des misogynen Titels von McGuinness′ Artikel frage ich mich, wie anders das Programm gewirkt und sich womöglich ausgewirkt hätte, wenn es so ausgesehen hätte, wie es sich Adrienne Mancia nach ihrem zweiten Besuch im SFA gewünscht hatte. Ihr Ende August 1974 vorgelegter erster Programmentwurf enthielt 32 Titel, darunter alle Filme des späteren Programms (bis auf Jakob der Lügner, der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht fertig war), sowie zusätzlich acht Dokumentarfilme, die das Thema der filmischen Manipulation und des So-tun-als-ob, das der rote Faden von McGuinness′ Kritik ist, womöglich auf einer komplexeren Ebene angesiedelt hätten. Bei Du und mancher Kamerad (1956, Annelie und Andrew Thorndike) hätte es sich der Kritiker mit dem Propaganda-Vorwurf womöglich noch leicht gemacht. Aber die von Mancia vorgesehenen Doppelprogramme Feierabend (1964, Karl Gass) und Lieber Mohr (1972, Bruno J. Böttge, Jörg Herrmann), Wäscherinnen (1972, Jürgen Böttcher) und Paul Dessau (1966/67, Richard Cohn-Vossen) sowie Heuwetter (1972) und Tay Ho – Das Dorf in der 4. Zone (1973, beide Gitta Nickel) hätten die Themen der Spielfilme in einer Weise ergänzt und gebrochen, die ein monolithisches Bild, wie es McGuinness zeichnet, erschwert hätten. Außerdem wäre mit Gitta Nickel einer Regisseurin ein Doppelprogramm gewidmet worden, die in ihren Filmen immer wieder Frauen in den Mittelpunkt stellte, von denen sich freilich keine zu der »Hausfrau« geeignet hätte, die McGuinness in seinem Titel evoziert.

Dass das Programm, das schließlich als erste US-amerikanische DEFA-Werkschau 1975 und 1976 durchs Land reiste, keinen einzigen Dokumentarfilm mehr enthielt, hat eine bittere Ironie und wurde von Adrienne Mancia als Enttäuschung hingenommen. Auch wenn der angegebene Grund – die zu hohen Kosten für eine englische Untertitelung – nicht nur vorgeschoben war, liegt in diesem Versäumnis doch eine verpasste Chance. Am Ende wurde die DEFA im MoMA jedenfalls durch 21 Langspielfilme repräsentiert. Und nur bei einem hatte eine Frau Regie geführt, Kennen Sie Urban? (Ingrid Reschke, 1971).xxix

Einige Folgeerscheinungen der Retrospektive

Die Retrospektive und ihr Erfolg – zumindest bei dem begrenzten Kreis derer, die sich in den USA für das Kino der sozialistischen Länder und die politischen Implikationen eines solchen Programms interessierten – führten zu einer erhöhten Aktivität zwischen dem MoMA und dem SFA und zwar nicht nur in Archiv- und Restaurierungsangelegenheiten, sondern auch in der Programmarbeit. Eine nennenswerte Folgeerscheinung war zum Beispiel, dass die Werkschau mit Filmen von Werner Hochbaum, die das SFA im Sommer 1976 mit großem Erfolg unter anderem in London präsentierte, im Herbst 1978 auch im MoMA gezeigt wurde. Auch dieses Gastspiel wurde im Wesentlichen von Wolfgang Klaue und Adrienne Mancia organisiert und Mancia war dafür im Juni 1977 wieder zu Auswahlsichtungen im SFA. Die Wiederentdeckung der Filme von Werner Hochbaum war ein filmgeschichtliches Highlight, für das das SFA international Anerkennung fand.xxx

Ende der 1970er Jahre gab es mehrere weitere Kooperationen zwischen dem MoMA und dem SFA, zum Beispiel für ein Jubiläumsprogramm zu Hanns Eisler, welches das SFA 1977 zusammenstellte, und für die MoMA-Retrospektive »Before Neo-Realism: Italian Cinema 1929-1944«, die Ted Perry kuratierte und die Ende 1978 stattfand. In diesem Zeitraum entstanden auch erste Ideen zu einer Retrospektive des sozial engagierten amerikanischen Dokumentarfilms vor 1945, die das SFA schließlich für die Leipziger Dokumentarfilmwoche 1981 zusammenstellte. »Hauptpartner« für »American Social Documentary« war einmal mehr das MoMA, allerdings konnte das SFA hier auch auf persönliche Kontakte und Allianzen bauen, die bereits weiter zurückreichten und das Programm auch zu einer imposanten Ahnenschau dessen machten, was in der DDR-Filmpublizistik oft als »das andere Amerika« bezeichnet wurde – ein dissidentes, oft radikal linkes Spektrum des amerikanischen Filmschaffens, für das Leipzig stets eine wichtige Plattform blieb. Das von Manfred Lichtenstein redigierte Buch zur Retrospektive erwähnt im Vorwort Thomas Brandon, Leo T. Hurwitz, Leo Seltzer und Jay Leyda, »die diese Filme oft unter großen Schwierigkeiten vor der Vernichtung bewahrten bzw. wiederentdeckten und für die Vorführung restaurierten.«xxxi

Im Archiv finden sich auch interne Korrespondenzen mit übergeordneten Stellen wie dem MfK, die im ideologischen Idiom der Partei verfasst sind und in einem kuriosen Gegensatz stehen zu dem ansonsten überwiegend informell und sachlich gehaltenen Tonfall, in dem diese erste DEFA-Retrospektive im MoMA vorbereitet wurde. Ich lese diese Dokumente als Belege für die weitverbreitete Fähigkeit, zur Durchsetzung wichtiger Vorhaben auf verschiedenen Klaviaturen spielen zu können. Dass die Filme des Programms eine geordnete Phalanx gegen Faschismus, Imperialismus und Revisionismus ergäbenxxxii, konnte nur annehmen, wer nicht wusste, was auf dem Spielplan stand. Andererseits ist es aber vielleicht auch reizvoll, sich die Filmauswahl einmal tatsächlich im Lichte dieser floskelhaften »Präambeln« zu vergegenwärtigen und gerade in den Reibungen und Inkohärenzen zwischen programmatischer Vorgabe und künstlerischer Umsetzung ein Charakteristikum der DEFA-Spielfilmproduktion zu sehen.

Wolfgang Klaue sagte mir, er und seine Kollegen und Kolleginnen hätten sich selbst zuallererst als Filmarchivare verstanden und kaum Ambitionen gehabt, als Repräsentanten einer politischen Agenda aufzutreten. Nach den diplomatischen Gratwanderungen während der Vorbereitung der Retrospektive wird es ihm daher eine Freude gewesen sein, in New York mit Lenny Rubenstein, dem Herausgeber der linksintellektuellen amerikanischen Filmzeitschrift »Cineaste«, über nichts anderes als die Frage zu sprechen: »What does a film archivist do, anyway?« Unter diesem Titel erschien »an interview with Dr. Wolfgang Klaue« in der Herbst-Ausgabe 1976. Auf die titelgebende Eingangsfrage antwortet Klaue: »Well, an archivist has four main duties – they are the collection of films, their preservation and identification and then the use of these films in programs of film education and for other purposes.«xxxiii

Erschienen in »Leuchtkraft – Journal der DEFA-Stiftung«, No. 6/2023

Meine Rekonstruktion der Ereignisse, die 1975 zur ersten DEFA-Retrospektive in den USA führte, basierte vor allem auf Recherchen im Nachlass des Staatlichen Filmarchivs der DDR (SFA), die im Bundesarchiv unter der Dachsignatur DR140 zu finden sind, sowie im Archiv des Museum of Modern Art (MoMA) in New York, wo Korrespondenzen und Dokumente zum Programm »Films from the German Democratic Repulic« (20. November bis 29. Dezember 1975) zwei Ordner in der Abteilung »Film Exhibition Files« füllen. Zudem hatte ich das Glück, mit zwei Zeitzeugen persönlich sprechen zu können: mit Wolfgang Klaue, dem damaligen Leiter des SFA, und mit dem Filmkurator Larry Kardish, der Ende der 1960er Jahre anfing, im Film Department des MoMA zu arbeiten, und dieses später über Jahrzehnte geleitet hat. Die damals federführende Filmkuratorin im MoMA war Adrienne Mancia, die im Dezember 2022 verstorben ist und mit der ich leider kein persönliches Gespräch mehr führen konnte. Zwei lange Gespräche mit Wolfgang Klaue im Januar und im April 2022 standen mehr oder weniger am Beginn meiner Recherchen, und er war auch während der Arbeit an diesem Text bereit, meine gelegentlichen Rückfragen zu beantworten. Sein großzügiger Umgang mit seiner Rolle als Zeitzeuge war ein Glücksfall für mich und viele andere, die Erkundungen zur Filmgeschichte der DDR unternehmen wollten. Wolfgang Klaue ist im Februar 2024 verstorben.

Anmerkungen und Fußnoten

iAuch zu den Nachspieleinsätzen der Retrospektive finden sich Dokumente im Bundesarchiv, ich beschränke mich hier jedoch auf den Auftakt im MoMA. Die Cinémathèque Québécoise war im Übrigen bereits im Oktober 1971 Gastgeber einer sechs Programme umfassenden Reihe »République démocratique allemande«. Neben Animationsfilmen von Katja Georgi wurden dort u.a. Die Abenteuer des Werner Holt (1964,Joachim Kunert), Abschied (1968, Egon Günther) und Piloten im Pyjama (1968, Walter Heynowski, Gerhard Scheumann) gezeigt.

iiIm Bundesarchiv findet sich das vierseitige Typoskript eines Artikels von Wolfgang Klaue, der vermutlich im Katalog des Filmverleihers MacMillan-Audio-Brandon die Liste neu verfügbarer DEFA-Filme begleiten sollte. Der Text ist ausgewiesen als »paper read at the opening of the program ›Films from the German Democratic Republic‹ at the Museum of Modern Art (slightly altered)«.

iii»Was immer wir für ein Bild von der DDR haben, stammt von anderen Medien als dem Kino, denn nur drei oder vier der ostdeutschen Produktionen kamen in den USA in die Kinos – und das war Ende der 40er Jahre.« (MoMA Film 478). Die »drei oder vier« Filme, von denen hier die Rede ist, waren vermutlich Die Mörder sind unter uns, Ehe im Schatten (1947, Kurt Maetzig) und Affaire Blum (1948, Erich Engel). Wie vollkommen die Abwesenheit von DEFA-Filmen auf US-amerikanischen Leinwänden war, wäre indes genauer zu recherchieren und ist abhängig davon, ob man einen »theatrical release«, also einen landesweiten Kinostart zum Maßstab nimmt oder eine »non-theatrical distribution«, also einen Verleih auf dem nicht-kommerziellen Sektor (Universitäten, Filmclubs, Kinematheken), wo DEFA-Filme durchaus präsent waren. Kleinere US-Verleiher erwarben in den 50er und 60er Jahren immer mal wieder Lizenzen für einzelne DEFA-Produktionen, vor allem Kinder- und Zeichentrickfilme, aber auch für Hans Müllers Operettenfilme Zar und Zimmermann (1955) und Mazurka der Liebe (1957) (Lizenzverträge in BA DR133/581). Auch Thomas Brandon (Brandon Films), dessen Verleihangebot auf Filme aus osteuropäischen Ländern und das proletarische Kino der 30er Jahre spezialisiert war, brachte zunächst vor allem Kinderfilme der DEFA in die USA, darunter Die Geschichte vom kleinen Muck (1953, Wolfgang Staudte). In Heft 5/1956 der Zeitschrift »Deutsche Filmkunst« weist eine Statistik zum zehnjährigen Bestehen der DEFA immerhin 14 Filmverkäufe in die USA aus, allerdings ohne Titelangabe. Politisch streitbare DEFA-Filme wurden vermutlich erstmals in der von Amos Vogel geleiteten New Yorker Film Society »Cinema 16« gezeigt. Zwischen Dezember 1960 und Februar 1962 liefen dort in dieser Reihenfolge: Ein Tagebuch für Anne Frank (1958, Joachim Hellwig, gezeigt unter dem englischen Titel The Murderers of Anne Frank), Der Untertan(1951, Wolfgang Staudte), Der Rat der Götter (1950, Kurt Maetzig) und Sterne (1959, Konrad Wolf). Die Kopien scheinen jedoch stets aus britischen Quellen gekommen zu sein. Für Ein Tagebuch für Anne Frank hatte der New Yorker Verleiher William Shelton 1959 eine Fünf-Jahre-Lizenz erworben, diese jedoch offenbar bald darauf wieder kündigen wollen, weil es ihm nicht gelang, den Film außerhalb von Filmclubs in die Kinos zu bringen (BA DR 133/589). Eine Gesamtdarstellung des Exports von DEFA-Filmen in die USA ist mir nicht bekannt.

ivWolfgang Klaue, Gespräch mit dem Verfasser, 26.1.2022.

v»Wir waren gefordert, in gewisser Weise die DDR zu repräsentieren. Die DDR hatte lange Zeit große Schwierigkeiten, international anerkannt zu werden. Daher war die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen in den Bereichen Kultur, Sport, Wissenschaft ein Weg, DDR-Anerkennung vorzubereiten. Das traf auch auf das Staatliche Filmarchiv zu. Wir wurden relativ früh [1957] in die FIAF aufgenommen. Es war damals nicht alltäglich, dass DDR-Institutionen in internationale Organisationen aufgenommen wurden, weil ja die Institutionen der BRD die Devise hatten, das zu verhindern. Das Institut für Filmkunde in Wiesbaden war bereits FIAF-Mitglied, hat sich aber nicht gegen unseren Beitritt gestellt. Dadurch hatte das Filmarchiv auch einen gewissen Stellenwert in den vorgesetzten Behörden, der Hauptverwaltung Film und dem Ministerium für Kultur, die uns dabei unterstützten, diese internationalen Aufgaben auch wahrzunehmen. Davon haben wir aktiv Gebrauch gemacht.« (Wolfgang Klaue, Gespräch mit dem Verfasser, 26.1.2022)

viLeydas Aufenthalt in der DDR und seine Arbeit im SFA hat im Bundesarchiv einen verhältnismäßig umfangreichen Aktenbestand hinterlassen. Seine fast fünfjährige Tätigkeit im Staatlichen Filmarchiv der DDR ist ein spannendes Kapitel in den Filmbeziehungen zwischen der DDR und den USA, dem ich hier nicht den ihm gebührenden Raum geben kann. Die hier dazu gemachten kursorischen Bemerkungen sind lediglich Bruchstücke eines größeren Zusammenhangs, den weiter zu erhellen noch aussteht.

vii»Die Filme, die hier gemacht werden? Das ist ein anderes Problem, aber ich habe nicht die Absicht, mir meine schwache Lanze an dieser Windmühle zu zerbrechen.« (BA DR140/641)

viii»Wir wären hoch erfreut über die Möglichkeit, ein solches Programm im Museum of Modern Art zu zeigen, denn offen gesagt wissen wir herzlich wenig darüber, was in Sachen Film in der DDR geschieht.« (Brief Van Dyke an Kranz, 2.12.1965, BA DR140/639)

ixEileen Bowser war die Filmarchivarin des MoMA und vertrat die Institution auch in der FIAF.

x»Ich vermute, die ›week‹ wird hier nun auf höherer Ebene beraten. Halte mich auf dem Laufenden – ich wäre gerne mit wenigstens zwei Fingern an der Auswahl beteiligt. Es könnte eine alptraumhafte Richtung nehmen. Eine Empfehlung vorab: verlasst euch nicht auf die großen Spielfilme, und seht zu, dass ihr die besten dokumentarischen Kurzfilme und sogar ein paar Animationsfilme ins Programm bekommt.« (Brief Leyda an Bowser, 13.12.1965, BA DR140/639)

xiBrief Emile de Antonio an Siegfried Wagner, 22.12.1967, Wisconsin Historical Society, Emile de Antonio Papers, Box 15/Folder 5

xiiZum Beispiel in einem Brief vom 1.7.1969 (WHS, Emile de Antonio Papers, Box 7/Folder 7). Wolfgang Klaue ist heute der Ansicht, dass es müßig sei, darüber zu spekulieren, wer als erster die Idee aufgebracht habe, DEFA-Filme im MoMA zu zeigen. »Es gab Interesse von beiden Seiten und man hat sich im Verlauf der Jahre immer mehr angenähert.« (Email an den Verfasser, 8.8.2023)

xiii»Die Auswahl bietet die seltene Gelegenheit, prägende Bilder und Themen einer staatlichen sozialistischen Filmindustrie zu entdecken. Diese filmischen Signale geben nicht vor, objektiv zu sein – welches nationale Kino hätte das jemals getan? Aber wir können ihnen dennoch wertvolle Hinweise auf das Wertesystem und die Prioritäten entnehmen, die in dem Land wirksam sind. Wenn wir die enormen Probleme bedenken, vor die sich die Deutsche Demokratische Republik nach dem Holocaust des Krieges gestellt sah, können wir auch die monumentale Aufgabe ermessen, die darin bestand, nicht nur eine physisch und moralisch verwüstete Nation wieder aufzubauen, sondern zudem eine ganze Bevölkerung zu einem sozialistischen Weltbild zu erziehen. Von diesem grundlegenden didaktischen Bedürfnis nach einer neuen politischen Erziehung sind alle Aspekte sowohl der Form, als auch des Inhalts dieses Kinos durchdrungen. Tatsächlich wäre es zutreffend, dieses Kino als eines zu bezeichnen, das von der Kraft einer Ideologie geformt wurde.« (undatiertes Programmblatt, MoMA Film 478)

xivJerry Rappoport war offenbar eine Schlüsselfigur beim Zustandekommen der DEFA-Retrospektive. Larry Kardish sagte mir, dass ohne Rappoports Unterstützung das Programm kaum realisierbar gewesen wäre. »Wir alle mochten Jerry, obwohl er und seine Firma International Film Exchange immer etwas mysteriös waren – verständlicherweise, wenn man bedenkt, dass Jerry Kontakte jenseits des Eisernen Vorhangs hatte, die es ihm ermöglichten, sowjetische Filme nach New York zu holen, die in der UdSSR selbst verboten waren.« (Zoom-Gespräch mit dem Verfasser am 13.7.2023) Auch Wolfgang Klaue hat mir bestätigt, dass Jerry Rappoport ein wichtiger Weichensteller gewesen sei. Tatsächlich wird Rappoport bei den meisten Korrespondenzen im Vorfeld der Retrospektive als Mitleser »cc« geführt und er trat des öfteren auf den Plan, wenn es um offizielle Verträge oder Zollangelegenheiten ging. Rappoport begleitete Adrienne Mancia auch auf ihrer zweiten Sichtungsreise ins Staatliche Filmarchiv Ende April 1974, nachdem es beim ersten Mal im Jahr zuvor offenbar Komplikationen am Checkpoint Charlie gegeben hatte: »It is really a relief for me to know that you will be meeting me in West-Berlin.« (Mancia an Rappoport, 29.3.1974, MoMA Film 478) Klaue und Rappoport sind auch im Dezember 1975 in New York zusammengetroffen. Es ging dabei um den Ankauf von 15 Filmen (sämtlich aus der Weimarer Zeit), die Rappoport beim SFA für den nicht-kommerziellen Vertrieb in den USA erwarb. Der Vorgang zog sich dann über Jahre hin, denn während das SFA seinen Part bis 1978 geleistet hatte, beglich Rappoport die ausstehende Rechnung erst sechs Jahre nach Vertragsschluss, im Dezember 1981 (Korrespondenzverlauf in BA DR140/62). Larry Kardish meint, wenn man wirklich verstehen wolle, was während des Kalten Krieges filmpolitisch zwischen Ost und West gelaufen sei, müsse man den Nachlass von Jerry Rappoport ausfindig machen.

xvWolfgang Klaue, Gespräch mit dem Verfasser, 26.1.2022.

xvi»Es scheint eine Art Kommunikationslücke zwischen dir, mir und der DEFA zu geben. […] Wenn es etwas gibt, von dem du meinst, ich verstünde es nicht, lass es mich bitte wissen.« (Brief Mancia an Klaue, 23.7.1975, BA DR140/55)

xviiDies ergibt sich aus einem Korrespondenzverlauf zwischen DEFA-Außenhandel, dem MoMA und der New Yorker Verlegerin Helen Wolff, bei der die englische Übersetzung von Jurek Beckers Romanvorlage just im Herbst 1975 erscheinen sollte. Wolff setzte sich persönlich für eine Aufnahme des Films ins MoMA-Programm ein (Brief Wolff an Diller/DEFA Außenhandel, 31.7.1975, BA DR140/55), erhielt darauf jedoch zunächst eine Absage (Brief Gericke/DEFA-Außenhandel an Wolff, 14.8.1975, MoMA Film 479).

xviiiBrief Klaue an Mancia, 8.3.1976, BA DR140/26

xixDiese Zahl nennt Adrienne Mancia in einem Brief an Wolfgang Klaue vom 13.2.1976 (BA DR140/26). In der DDR-Presse war sogar von »über 12.000 Amerikanern« zu lesen, die »während der fünf Festwochen mehr als zwanzig Filme aus der DDR« gesehen hätten (siehe die fast gleich lautenden Artikel in »Der Morgen« und »National-Zeitung« vom 6.1.1976, BA DR133/510).

xxWolfgang Klaue, Gespräch mit dem Verfasser, 26.1.2022.

xxi»Information über Gespräche mit der Programmleiterin des Museum of Modern Art«, 15.5.1974, BA DR140/652

xxii»Aktennotiz über ein Telefongespräch mit Genossin Dr. Haack am 3.3.1975«, BA DR140/55

xxiiiBrief Klaue an MfK/Dr. Haack, 28.5.1975, BA DR140/55.

xxiv»Notiz über ein Gespräch mit Genossin Dr. Haack am 23.6.1975«, BA DR140/55

xxvTelex Klaue an Mancia, 13.11.1975, BA DR140/55

xxviTelex Klaue an SFA, 18.11.1975, BA DR140/55. Die DEFA-Kopie von Der fliegende Holländer (1964, Joachim Herz) hätte von West-Berlin verschickt werden sollen, war aber offenbar vergessen worden.

xxvii»Man sagt mir, dass sich die Menschen in Ostdeutschland gut benehmen. Sie laufen nicht bei Rot über die Straße, sie werfen keine Zigaretten auf den Boden und das Land ist reich gesegnet mit Fürsorgeeinrichtungen, in denen man persönlich bedient wird, wie sie es im hässlichen alten Amerika nicht gibt. Der seltene Einblick in das ostdeutsche Kino, den das Museum of Modern Art noch bis Ende Dezember gewährt, erscheint mir zum größten Teil massiv beschränkt durch diesen gütigen, aber sehr preußischen Gemeinsinn.« (»Hausfrau Cinema«, in: The Soho Weekly News, Donnerstag, 27. November 1975, S. 33) Ich zitiere den Artikel aus dem im MoMA-Archiv gesammelten Pressespiegel zur Retrospektive (MoMA Film 479).

xxviii»War es wirklich nötig, dass die DDR ihr Kino tötet, um seiner Bevölkerung eine angemessene materielle Lebensgrundlage zu verschaffen?«

xxixEs gibt keinen Beleg, dass die dürftige »Frauen-Quote« des Programms in den Planungen explizit zur Sprache kam, obwohl sie Mitte der 1970er Jahre bereits ein zuverlässiger Anlass für Kritik sein musste – zumal für ein Filmprogramm, dass die Fortschrittlichkeit einer sozialistischen Nationalkinematographie belegen sollte. Dabei spiegelte sich in diesem Faktum freilich ein strukturelles Problem, das auch die DEFA hatte. Adrienne Mancia wird sich des Mankos bewusst gewesen sein und es gibt einige Hinweise, dass sie versuchte, ihm etwas entgegenzusteuern. In der letzten Phase der Programm-Vorbereitungen, als die Dokumentarfilme noch nicht vom Tisch waren und man auch noch vom Besuch einer Delegation aus der DDR ausging, bat Adrienne Mancia darum, dieser möge auch ein »director« angehören, und notierte: »possibly a woman?«.

xxxDie Korrespondenz zur Werner Hochbaum Werkschau im MoMA befindet sich in BA DR140/26.

xxxiStaatliches Filmarchiv der DDR (Hg.): American Social Documentary. Beiträge zur Geschichte des Dokumentarfilms in den USA bis 1945, Berlin: SFA, 1981, S. 7.

xxxiiSiehe »Entwurf für eine Sekretariatsvorlage: Filmtage der DDR in den USA – anläßlich des 30. Jahrestages der Befreiung«, datiert 14. Januar 1975.

xxxiii»Nun, ein Archivar hat vier Hauptaufgaben: Filme zu sammeln, zu bewahren, zu identifizieren und sie in Programmen für die Filmbildung und andere Zwecke einzusetzen.« (»Cineaste« Vol. VII, No. 3 (1976), S. 28-29)