Filme des „anderen Amerika“ auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche vor 1990

Dreharbeiten zu Wildcat (1977), courtesy Deborah Shaffer
Auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche wurden zu DDR-Zeiten in knapp dreißig Jahren über 150 Filme aus den USA gezeigt. Ab 1962 gab es keinen Festivaljahrgang, bei dem das führende Land des „imperialistischen“ Blocks nicht im Programm vertreten war, in den 70er und 80er Jahren oft mit bis zu zehn Filmen. Diesem bislang kaum erforschten Kapitel der Festivalgeschichte widmete sich die Retrospektive auf dem DOK Leipzig Festival 2025.
Der Titel „Un-American Activities“ verweist auf das „Komitee für un-amerikanische Aktivitäten“, einen Untersuchungsschuss des US-Abgeordnetenhauses, der ursprünglich 1938 eingesetzt worden war, um gegen Nazi-Sympathisanten in den USA vorzugehen, nach Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch zu einem notorischen Instrument der anti-kommunistischen Hetzjagden wurde, die man heute vor allem mit Senator Joseph McCarthy assoziiert. In vielen Filmen, die die Kuratoren Tobias Hering und Tilman Schumacher für die Retrospektive gesichtet und teils wiederentdeckt haben, spielte der rechts-konservative Rollback nach der relativ progressiven Roosevelt-Ära eine wichtige Rolle. Noch in den 80er Jahren war in den in Leipzig gezeigten US-Filmen das Bedürfnis nach einer linken Geschichtsschreibung spürbar, die das Trauma der McCarthy-Zeit überwinden sollte und an frühere Traditionen vor allem der amerikanischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung anknüpfte. 1981 trug das Leipziger Festival selbst zu dieser Geschichtsschreibung bei mit einer großen Retrospektive zum politischen US-Dokumentarfilm der 30er und 40er Jahre: „American Social Documentary“.
Das Narrativ, dass die Vereinigten Staaten ein Land seien, in dem „progressive“ Bewegungen unter dem Banner des Anti-Kommunismus systematisch verfolgt würden, passte ins Feindbild USA, das in der DDR offiziell gepflegt wurde. Aber auch die Tatsache, dass politische Repression und soziale Ungerechtigkeiten in den USA selbst auf Widerstand stießen und systemkritische Dokumentarfilme hervorbrachten, ließ sich mit dem komplexeren Bild vereinbaren, das sich die DDR-Gesellschaft von den USA machte. Zugespitzt könnte man behaupten, dass es für den Überbau der realsozialistischen Gesellschaft ebenso wichtig war, dass die Sowjetunion historisch im Recht bliebe, wie dass sich in den USA der Traum von einem besseren Amerika erhalte, das man sich als ein sozialistisches Amerika vorstellen konnte.
Wenn die Filme und Filmemacher*innen, die das Leipziger Festival einlud, dieses „andere Amerika“ repräsentieren sollten, so taten sie dies mal bewusst, mal unbewusst, mal widerwillig, mal aus Überzeugung, mal mit einem Schmunzeln oder Achselzucken. Dass fast jedes Interview mit einem Gast aus den USA, das in den Leipziger Festivalprotokollen abgedruckt wurde, mit einem Bekenntnis für den Sozialismus endete, sollte man wohl nicht immer als bare Münze nehmen. Gleichzeitig sollte man aber auch nicht unterschätzen, dass politisch aktive und oft militante Filmemacher*innen in den USA viel aufs Spiel setzten für ihre Ideale. Sie hätten es sich auch leichter machen können, aber sie wählten den Weg des erhöhten Widerstandes. Und nicht nur darin wirkten die „Un-American Activities“ der 60er bis 80er Jahre, die die Retrospektive wieder auf die Leinwand brachte, im Herbst 2025 hoch aktuell.
Das Programm der Retrospektive „Un-American Activities“ bei DOK Leipzig 2025:
Part I: Die Ständige Vertretung – On a Permanent Mission: Emile de Antonio
Luru-Kino in der Spinnerei. Zu Gast: Arno Luik
24.10.2025
IN THE YEAR OF THE PIG Emile de Antonio, USA 1968, 102 min
25.10.2025
POINT OF ORDER Emile de Antonio, USA 1964, 97 min
IN THE KING OF PRUSSIA Emile de Antonio, USA 1982, 90 min
26.10.2025
MILLHOUSE – A WHITE COMEDY Emile de Antonio, USA 1971, 91 min
RUSH TO JUDGMENT Emile de Antonio, USA 1967, 126 min
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Part II: Frontlinien – Front Lines
DOK Leipzig (Kino CineStar 5)
28.10.2025
SUNDAY Dan Drasin, USA 1961, 17 min
COMMITTEE ON UN-AMERICAN ACTIVITIES Robert Cohen, USA 1962, 45 min
Anschließend: Online-Gespräch mit Robert Cohen
29.10.2025
OFF THE PIG! aka BLACK PANTHER (NEWSREEL #19) San Francisco Newsreel, USA 1968, 15 min
A SONG FOR DEAD WARRIORS Norma Allen, Michael Anderson, Larry Janss, Saul Landau, Rebecca Switzer, Bill Yahraus, USA 1974, 25 min
HUELGA Ralph MacGrew, Mark Harris, USA 1967, 54 min
Einführung: Cecilia Valenti
30.10.2025
WHERE DID YOU GET THAT WOMAN Loretta Smith, Linda Horwitz, USA 1982, 28 min
UNION MAIDS Jim Klein, Miles Mogulescu, Julia Reichert, USA 1976, 51 min
Anschließend: Online-Gespräch mit Jim Klein
31.10.2025 Luru-Kino in der Spinnerei
SONS AND DAUGHTERS Jerry Stoll, Stephen Lighthill, USA 1967, 101 min
Im Anschluss:
Film & Panel: Generation Vietnam – The significance of the Vietnam War for political documentaries from the USA – Gäste: Barbara Kopple, Deborah Shaffer, Allan Siegel
31.10.2025
DIFFERENT SONS Jack Ofield, USA 1971, 55 min
WITNESS TO WAR: DR. CHARLIE CLEMENTS Deborah Shaffer, David Goodman, USA 1985, 29 min
Anschließend: Publikums-Gespräch mit Deborah Shaffer
01.11.2025
WILDCAT Bonnie Friedman, Bigan Saliani, Deborah Shaffer, Rhody Streeter, USA 1977, 14 min
HARLAN COUNTY U.S.A. Barbara Kopple, USA 1976, 103 min
Anschließend: Publikumsgespräch mit Barbara Kopple und Deborah Shaffer
02.11.2025
THE GOOD FIGHT: THE ABRAHAM LINCOLN BRIGADE IN THE SPANISH CIVIL WAR Noel Bruckner, Mary Dore, Sam Shills, USA 1984, 98 min
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Part III: Collective Action – Filmkollektive
Luru-Kino in der Spinnerei
07.11.2025 Newsreel
ARMY (aka U.S. ARMY) (NEWSREEL #36), Newsreel, USA 1969, 19 min
MY COUNTRY OCCUPIED (NEWSREEL #151) Tami Gold, Heather Archibald, USA 1971, 30 min
TEACH OUR CHILDREN Christine Choy, Susan Robeson, USA 1972, 35 min
BREAK & ENTER aka SQUATTERS (NEWSREEL #62) NY Newsreel, USA 1971, 40 min
PEOPLE’S FIREHOUSE NO. 1 Paul Schneider, USA 1979, 25 min
08.11.2025 Kartemquin Films
Zu Gast: Peter Kuttner, Gordon Quinn
TRICK BAG Peter Kuttner, Jerry Blumenthal, Susan Delson, USA 1975, 21 min
THE CHICAGO MATERNITY CENTER STORY Jerry Blumenthal, Suzanne Davenport, Sharon Karp, Gordon Quinn, Jenny Rohrer, USA 1976, 60 min
GOLUB Gordon Quinn, Jerry Blumenthal, USA 1988, 55 min