[Zwischenraum: Irena Vrkljan]
„Tochter zwischen Süd und West“ ist der Titel des ersten Romans von Irena Vrkljan, erschienen 1982. Benannt wird hier die Geographie, in der sie sich wiederfand, als sie 1966 von Zagreb nach Berlin zog, um an der gerade erst gegründeten DFFB Filmregie zu studieren. Benannt wird auch die Bindung an ihre Mutter, die im k.u.k-Wien geboren war, im NS-besetzten Zagreb drei Töchter aufzog und im sozialistischen Jugoslawien ein langes Witwenleben führte. Irena Vrkljan blieb in Berlin, schloss das Regiestudium ab, führte aber nie mehr Regie. Sie schrieb. Zunächst vor allem Hörspiele und Drehbücher, meist in gemeinsamer Arbeit mit ihrem Lebenspartner Benno Meyer-Wehlack, den sie als Dramaturgiedozenten an der DFFB kennenlernte. Irena Vrkljan war 36, als sie nach Berlin kam, und fast vierzig, als sie das Studium abschloss. Sie hatte eine andere Lebenserfahrung als ihre Kommilliton*innen und stand eher den Dozenten nahe – Erwin Leiser, Peter Lilienthal, Jiři Weiss, die wie sie Krieg und deutschen Suprematismus erlebt hatten, die wussten, was Exil war, und für die all das noch lange nicht abgeschlossen war.
Fast fünfzig Jahre lang lebte und arbeitete Irena Vrkljan mit Meyer-Wehlack zwischen Berlin und Zagreb, schrieb in zwei Sprachen, übersetzte von einer in die andere in beiden Richtungen; hatte dort, wo sie war, ein offenes Auge für das Andere und Frühere – oft schmerzhaft offen, stelle ich mir, wie die Flügel von Paul Klees „Angelus Novus“, in denen sich ein Sturm verfangen hat, „der so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann“. So Walter Benjamin, der in Irena Vrkljans Romanen ein häufiger Wiederkehrer ist. Wie ein Weberschiffchen bewegte sie sich zwischen Zagreb und Berlin, verwob die Orte und ihre Geschichten, gab den Gegenwarten einen neuen Namen, war eine der ersten, in deren Hörspielen, Drehbüchern und Romanen sogenannte Gastarbeiter*innen davon sprachen, wie wenig gastlich Deutschland ihnen war und dass sie sich nun auch in der früheren Heimat ungeliebt fühlten.
Man schätzt Übersetzerinnen als „Kulturvermittler“, gibt ihnen Preise und Stipendien dafür, dass sie den Zwischenraum vermessen, in dem es sich oft schwer leben lässt. Als ihr Debütroman 2008 neu aufgelegt wurde, gab Irena Vrkljan ihm einen neuen Titel: „Seide, Schere“. Das Motiv dafür findet sich auf Seite 25, eine Kindheitserinnerung an einen Laden in Belgrad, in dem die Mutter eine Bahn Seidenstoff mit Seepferdchen-Muster kaufte. Das Kind sieht, wie die Schere der Verkäuferin das Seepferdchen „halbiert. Der Kopf blieb im Laden, wurde eingerollt, zurück ins Regal verstaut. Der Rest ruhte lange in einem Rocksaum, der sich verschlissen hat.“
Der Text wurde geschrieben für die Rubrik „Zwischenraum“ in INTERN 2025/26, einer Semesterpublikation der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Dank an Borjana Gaković und Stefanie Gaus.
Siehe auch: Fellow-Portrait Irena Vrkljan auf der Website des Berliner Künstlerprogramms des daad.