DDR International

Ein dreiteiliges Filmprogramm im Rahmen der documenta fifteen.

Video-Still aus Frauen in Berlin (DDR, 1982) von Chetna Vora.

Das programmatische Engagement der DDR für Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen im Globalen Süden wird heute – wenn es überhaupt zur Sprache kommt – meist abschätzig belächelt oder romantisch heroisiert. Eine angemessene Auseinandersetzung mit der internationalistischen Agenda der DDR steht hierzulande noch aus
und wird nicht zuletzt durch die Pauschalverurteilung der DDR als „Unrechtsstaat“ erschwert.

Dabei war die DDR für nicht Wenige mit ihrer anti-faschistischen und anti-imperialistischen Programmatik lange Zeit der „bessere deutsche Staat“ auf der Nachkriegslandkarte. Rückblickend scheint es manchmal, dass die DDR oft auf der „richtigen Seite“ stand, zum Beispiel mit ihrer standhaften Verurteilung der Apartheid in Südafrika, des Pinochet-Regimes in Chile oder der US-Invasion in Vietnam, auch wenn hinter solchen außenpolitischen Positionierungen pragmatischere Motive standen, als es die offizielle, oft idealistische Rhetorik nahelegte.

Das Programm GDR International beleuchtet beispielhaft drei Aspekte, in denen sich das internationalistische Engagement der DDR in Filmen
und der Filmpolitik niederschlugen. Es versteht sich als ergänzende Replik zum Filmprogramm der lumbung-Künstler*innen, deren Beiträge
während der documenta fifteen im Gloria Kino gezeigt werden. Darüber hinaus reagiert GDR International auf die besondere Bedeutung von
Archiven als Zeugnissen von Parallelgeschichte(n) und Netzwerken der Solidarität im Rahmen der documenta fifteen.

DDR International #1

Drei kaum mehr bekannte Kurzfilme von Peter Ulbrich, produziert vom DEFA-Studio für populärwissenschaftliche Filme, erinnern an die Bedeutung Nordvietnams für das politische Selbstverständnis des „ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden“.

Wo einst Könige saßen
Regie Peter Ulbrich, DDR 1957, 9 Min, 35mm, Deutsch mit englischen Untertiteln
Ein wohlwollender Blick auf ein kürzlich von Fremdherrschaft befreites Land, das nun in eine selbstbestimmte Zukunft, aufgebaut auf seiner eigenen kulturellen Tradition, blickt. Die Teilung Vietnams wird hier auf subtile Weise mit jener Deutschlands verknüpft. In der DDR wurde Ulbrichs erster Vietnamfilm als Romantisierung der Vergangenheit kritisiert.

Die Fischer von Vinh-moc
Regie Peter Ulbrich, DDR 1958, 17 Min, 35mm, Deutsch mit englischen Untertiteln
Der Sozialismus in seinem Lauf, erzählt aus der Perspektive eines Fischers. Der Protagonist lobt die sozialistischen Bruderstaaten für ihre Hilfe bei der Modernisierung seines Gewerbes und zieht Parallelen zwischen der Teilung Vietnams und jener Deutschlands: „Der Den-Hai-Fluss ist die Elbe Vietnams“.

Denkt an mein Land
Regie Peter Ulbrich, DDR 1966, 19 Min, 35mm, Deutsch mit englischen Untertiteln
Eine flammende Anklage der US-Invasion Vietnams, als deren Hauptmotiv die Zerstörung dessen sozialistischer Gesellschaft identifiziert wird, während der Film gleichzeitig den geschickten Widerstand Davids gegen Goliath glorifiziert. Der zum Teil aus während des Vietnamkriegs gedrehten DEFA-Aufnahmen entstandene Film spielte eine wichtige Rolle beim Versuch, die Unterstützung der DDR-Bürger*innen für den Vietkong und weltweite antiimperialistische Kämpfe zu gewinnen.

DDR International #2

In the Year of the Pig
Regie Emile de Antonio, USA 1968, 104 Min, DCP, OV
Eine vernichtende Anklage der US-Invasion Vietnams, die deren breiteren historischen Kontext analysiert und den ihr zugrundeliegenden Rassismus offenlegt. Der Film verbindet akribisch zusammengesuchtes Archivmaterial mit Interviews, die Emile de Antonio mit zahlreichen Protagonist*innen führte, die unterschiedliche Haltungen zum Krieg repräsentieren. Als radikaler, vom FBI indizierter Filmemacher war de Antonio ein prominenter Repräsentant des „anderen Amerikas“, wie DDR-Offizielle Kulturinstitutionen und Kunstschaffende in den USA nannten, mit denen eine Zusammenarbeit politisch gewünscht war.

Von Mitte der 1960er bis Anfang der 1980er Jahre war de Antonio regelmäßig beim Internationalen Leipziger Filmfestival zu Gast, wo In the Year of the Pig 1968 mit der Silbernen Taube ausgezeichnet wurde. Er unterhielt zudem eine langjährige Korrespondenz mit Peter Ulbrich, dessen Vietnamaufnahmen er im Zuge seiner Recherche für In the Year of the Pig im Staatlichen Filmarchiv der DDR sichten konnte.

DDR International #3

Oyoyo
Regie Chetna Vora, DDR 1980, 45 Min, DCP, Deutsch mit englischen Untertiteln
Gespräche mit ausländischen Studierenden der Hochschule für Ökonomie in Ost-Berlin, gefilmt in einem Wohnheim, durch dessen Gänge jenes guineische Befreiungslied schallt, welches dem Film seinen Namen gibt. Chetna Voras von ihrem Partner Lars Barthel gefilmte Begegnungen mit Studierenden aus Kuba, Chile, der Mongolischen Volksrepublik, Äthiopien und Guinea-Bissau bewegen sich leichtfüßig zwischen Alltagsroutinen, Momenten der Stille, Freude und Nostalgie sowie längeren Gesprächen über persönliche Hoffnungen und Pläne. Der Film macht die Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens greifbar, die seine Entstehung erst ermöglichte, und bietet Einblick in den Alltag einer „internationalen Gemeinschaft“, die sich der Flüchtigkeit ihres Bestehens bewusst ist. Berlin und die DDR werden dabei kaum erwähnt, und bis auf Anfangs- und Schlussszene besteht der Film ausschließlich aus Innenaufnahmen.

Lesung und Film
Ein unveröffentlichtes Transkript aus dem Jahr 1993 dokumentiert ein Gespräch zwischen der Filmemacherin Tamara Trampe und der Filmprofessorin Christiane Mückenberger, zweier wichtiger Protagonistinnen des DDR-Films der 1980er Jahre, über ihre Erinnerungen an Chetna Vora und die Umstände, die zur Konfiszierung ihres Abschlussfilms Frauen in Berlin an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR, in Potsdam-Babelsberg führten. Auszüge aus diesem Gespräch liest die Filmwissenschaftlerin Cornelia Klauß, selbst Absolventin der Schule und Mitherausgeberin des Bandes Sie: Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme, einer umfassenden Bestandsaufnahme der Arbeiten von Regisseurinnen innerhalb des staatlichen Produktionssystems der DDR.

Frauen in Berlin (aka Schattenbilder)
Regie Chetna Vora, DDR 1982, 139 Min., DCP, Deutsch mit englischen Untertiteln
Gespräche mit Frauen unterschiedlichen Alters und Herkunft, die fast ausschließlich in deren Wohnungen in Berlin gefilmt wurden. Die Berichte der Protagonistinnen drehen sich um Geschlechterverhältnisse und den Alltag in einer Gesellschaft, deren utopische Versprechen verblassen, aber doch noch nicht ganz ohne Einfluss auf persönliche Entscheidungen und Pläne bleiben. Der Film sollte Chetna Voras Abschlussarbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR werden. Nach einer Voraufführung des zweistündigen Rohschnitts für Kommiliton*innen und Lehrende verlangte die Schule jedoch eine Kürzung auf fernsehkompatible dreißig Minuten. Als Chetna Vora sich weigerte, verhinderte die Schule schließlich die Fertigstellung des Films und zerstörte das gesamte Rohmaterial. Die Umstände, unter denen der Film letztlich doch überlebte – Vora selbst filmte ihn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einer Videokamera ab – macht Frauen in Berlin zu einem Zeugnis von Widersprüchen hinter der fortschrittlichen Fassade der DDR.


lumbung Film: DDR International war Teil des Meydan #2-Programms auf der documenta fifteen vom 12. bis 14. August 2022.

Das Programm wurde kuratiert von Tobias Hering.

Dank an: David Le Grant, DEFA Stiftung, Decolonizing Socialism/Doreen Mende, Lars Barthel, Maria Nguyen, Progress Film, Kassel
Dokfest, Kurzfilmfestival Hamburg, vinit agarwal.

Besonderen Dank an Felipe Steinberg und Michelle Bake Arenas, die das Programm von Seiten der documenta fifteen betreut haben.