Freundschaft auf Zeit

Programmreihe bei bi’bak (Berlin) zu Vertragsarbeit und Internationalismus in der DDR | 24.10. — 22.11.2019

Die Programmreihe wurde von Malve Lippmann und Can Sungu (bi’bak) initiiert. Sie war zum einen ein Versuch, aus den Archiven von DEFA und DDR-Fernsehen das öffentliche (offizielle) Bild von Migrant*innen in der DDR zu rekonstruieren und dabei jenseits ideologisch normierter Muster auch Spuren der Wirklichkeit zu entdecken. Zum anderen bot sie als Kontrast dazu Raum und Zeit für aktuelle künstlerische und aktivistische Positionen, die sich mit den blinden Flecken beschäftigen, die das weitgehende Ausblenden migrantischer Perspektiven auf die DDR hinterlassen hat, und das Thema aus der heutigen Perspektive beleuchten.

Dass Deutschland mit dem Fall der Mauer nicht zu einer offeneren und freien Gesellschaft wurde, bekamen insbesondere die geschätzten 150.000 Arbeitsmigrant*innen und Studierenden zu spüren, die zu diesem Zeitpunkt auf der Basis von Staatsverträgen mit sozialistischen „Bruderländern“ in der DDR lebten. Seit Anfang der 1950er Jahre hatten Vertragsarbeiter*innen und ausländische Studierende zum internationalistischen Image der DDR und zum gesellschaftlichen Wohlstand beigetragen. Auch wenn die DDR nicht das Paradies war, als das sie sich darstellte, so gelang es doch vielen Vietnames*innen, Mosambikaner*innen, Chilen*innen, Algerier*innen, Koreaner*innen und Menschen anderer Herkunft, in der DDR Fuß zu fassen oder sich zumindest temporär zu arrangieren. Die verbale und physische Gewalt, die ihre Entrechtung in der Nachwendezeit flankierte, warf ein Schlaglicht auf ihre Anwesenheit, die jedoch unter dem Stichwort „Ausländerproblematik“ sogleich stigmatisiert wurde. In der späteren Einordnung wurde zudem meist übersehen, dass rassistische Gewalt und Ausgrenzung nicht erst 1989 begannen, sondern schon in der DDR zur Alltagserfahrung vieler Menschen gehörten. Ebenso wird unterschlagen, dass die „solidarische“ und „internationalistische“ Außenpolitik der DDR, auch wenn sie opportunistische Motive hatte, von vielen Menschen beim Wort genommen wurde und ihnen auch reale Chancen bot – Inländer*innen wie Ausländer*innen.

Programm | kuratiert von Tobias Hering in Zusammenarbeit mit bi’bak und Sun-ju Choi / korientation e.V.

24.10. „Schlager einer kleinen Stadt“
Eine 60minütige Kompilation aus dem Fernsehen der DDR und der DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“, in der Vertragsarbeit als Geschenk der DDR an sozialistische Bruderländer erscheint. Ein euphemistischer, oft paternalistischer Blick auf die „Gäste“, der viel über die Selbstdarstellung der DDR aussagt, aber wenig über migrantische Realitäten. Indem es einen Bogen von 1964 bis 1980 spannt, zeigt das Programm, wie sich Sprache und Kontext des DDR-Internationalismus beständig wandelten.

Filmquellen: Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) Potsdam-Babelsberg, Progress Film, Bundesarchiv-Filmarchiv, Stiftung Deutsche Kinemathek ‒ Museum für Film und Fernsehen

Zu Gast: Massimo Perinelli, Mitbegründer kanak attack, jetzt Referent für Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung

25.10. … und morgen kommen die Polinnen
DDR, 1974, 52′ | R: Gitta Nickel, P: DEFA-Studio für Kurzfilme im Auftrag des Fernsehens der DDR – Erstausstrahlung: DFF, 25.2.1975 – Filmquelle: Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) Potsdam-Babelsberg

Eine Gruppe polnischer Vertragsarbeiter*innen in einer Hühnerschlachtfabrik in Storkow bei Berlin. Hauptprotagonistin ist die deutsche Vorarbeiterin Christa, eine überzeugte Sozialistin mit frauensolidarischem Herz, die an Internationalismus glaubt und die Vertragsarbeit als Wiedergutmachung im Verhältnis zu Polen sieht. Während der Film diese idealistische Perspektive keineswegs verrät, kommt in den Gesprächen mit den polnischen Arbeiterinnen und dem en passant mit dokumentierten Schlachtbetrieb die Gewalt der Verhältnisse zum Ausdruck.

31.10.
Institut der Freundschaft
DDR 1964, 19′ | R: Heinz Fischer, P: DEFA Studio für Wochenschauen und Dokumentarfilme – Filmquelle: Bundesarchiv-Filmarchiv

In halbdokumentarischen Spielszenen wird das Herder-Institut in Leipzig vorgestellt. Hier erhielten Ausländer*innen, die in die DDR delegiert wurden, zunächst ein Jahr obligatorischen Deutschunterricht. Im Vordergrund steht die vergleichsweise internationalistische Atmosphäre am Institut.

Oyoyo
DDR 1980, 45′ | R: Chetna Vora, K: Lars Barthel, P: HFF Babelsberg – Filmquelle: Filmuniversität Potsdam Babelsberg (ehemals HFF Konrad Wolf)

In seltener Offenheit erzählen Studierende aus Chile, Guinea-Bissau, der Mongolischen Sowjetrepublik, Cuba und Bulgarien, was sie in die DDR geführt hat und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Die indische Filmemacherin Chetna Vora drehte den Film mit ihrem Lebenspartner Lars Barthel in einem Studentenwohnheim in Berlin-Karlshorst. Sie selbst war 1976 zum Regiestudium an die Filmhochschule in Babelsberg gekommen. Oyoyo war ihr Hauptprüfungsfilm.

7.11. Eigensinn im Bruderland
Migrant*innen kamen als Studierende, „ausländische Werktätige“ und Lehrlinge in die DDR. Häufig wurden sie von ihren Regierungen delegiert, um nach der Ausbildung dem Aufbau der Herkunftsländer zu dienen. Sie kamen meist aus befreundeten sozialistischen Staaten wie Vietnam, Mosambik, Kuba oder Angola. Nach ihren Erwartungen und Erfahrungen in der DDR und ihren Strategien, eigene Vorstellungen umzusetzen, fragt die Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ | www.bruderland.de. Die Präsentation legt den Schwerpunkt auf Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik.

Gäste: Julia Oelkers – Journalistin und Dokumentarfilmerin aus Berlin, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Themen der Zeitgeschichte, Rassismus und Migration. | Ibraimo Alberto kam 1981 als 18jähriger aus Mosambik in die DDR und wollte Sport studieren. Stattdessen wurde er im Fleischkombinat Berlin eingesetzt. Heute arbeitet er als Sozialarbeiter. | Orquídea Chongo (musste ihre Teilnahme kurzfristig absagen) kam 1980 auch mit der Hoffnung auf ein Studium in die DDR. Sie wurde im VEB Thüringer Obertrikotagen Apolda zur Textilfacharbeiterin ausgebildet. Heute arbeitet sie in der Pflege in Berlin.

8.11. Madgermanes: Comic-Lesung mit Birigt Weyhe
Von 1979 bis 1991 waren ca. 20.000 Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik in der DDR beschäftigt. Ihr auf vier Jahre befristeter Aufenthalt sollte dazu dienen, ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen und Berufserfahrung zu sammeln, um nach ihrer Rückkehr zum Aufbau eines unabhängigen sozialistischen Mosambiks beizutragen.
Die Realität sah anders aus. Die „Madgermanes“, wie sie in Mosambik genannt werden, eine Wortschöpfung aus „Mad Germans“ und „Made in Germany“, kehrten in ein vom Bürgerkrieg völlig zerstörtes Land zurück. Für ihre Berufsausbildung gab es keine Verwendung, und der von der Regierung treuhänderisch einbehaltene Lohn wurde nie ausgezahlt …

Birgit Weyhes Comic Madgermanes ruft diese kaum bekannten Geschehnisse ins Gedächtnis, indem es aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen drei repräsentative aber fiktive Biografien in rekonstruiert.

Birgit Weyhe wurde 1969 in München geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Ostafrika und kehrte als Erwachsene nach Europa zurück. Für Madgermanes wurde sie mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung und dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet.

15.11. Solidarität im Kalten Krieg
Filmvortrag mit anschließender Diskussion mit Dan Thy Nguyen und Duc Ngo Ngoc, moderiert von Sun-ju Choi

Südvietnamesische Boatpeople vs. nordvietnamesische Vertragsarbeiter*innen, südkoreanische „Gastarbeiter*innen“ vs. nordkoreanische Studierende/Waisenkinder in der DDR bzw. BRD. Migrationsrouten und Menschenleben, die vom erbitterten Kampf des Kalten Krieges bestimmt wurden. Was haben der Korea-Krieg und der Vietnam-Krieg gemeinsam, und was hat das überhaupt mit Deutschland zu tun? Angehörige der zweiten Generation aus unterschiedlichen Asiatisch-Deutschen Communities reflektieren über die eigenen Geschichten bzw. die Geschichten ihrer Eltern in West- und Ostdeutschland.

Gäste: Dan Thy Nguyen ist freier Theaterregisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Sänger in Hamburg. |Duc Ngo Ngoc ist vietnamesisch-deutscher Filmemacher.

Sun-ju Choi ist Gründungsmitglied von korientation e.V. – Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven und Vorstandsmitglied der ndo (neue deutsche organisationen).

21.11. Einheit/Zerfall: DDR im Herbst
Fernsehmaterial aus einer fast vergessenen Zeit, Frühjahr ’89 bis Herbst ’90, als in der DDR politisch vieles denkbar wurde und auch in den Blickpunkt rückte, was zuvor verschwiegen wurde: z.B. dass Tausende Vertragsarbeiter*innen halfen, den Laden am Laufen zu halten, und dass diese strukturellem und zunehmend handgreiflichem Rassismus ausgesetzt waren.
Zu Gast ist Almuth Berger, die sich als Pfarrerin schon früh gegen die Ausgrenzung von Ausländer*innen in der DDR engagierte, die Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ mitgründete und nach der „Wende“ Ausländerbeauftragte in den Regierungen Modrow und de Mazière wurde.

Filmquellen: Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) Potsdam-Babelsberg, WDR

22.11. Geblieben

Wir bleiben hier
D 1991, 32′ | R: Dirk Otto, P: DEFA Studio für Dokumentarfilme GmbH – Filmquelle: Bundesarchiv-Filmarchiv/Stiftung Deutsche Kinemathek ‒ Museum für Film und Fernsehen

Eine junge vietnamesische Familie in Berlin am Vorabend des 3. Oktober 1990. Beide Eltern haben als Vertragsarbeiter*innen ihr „halbes Leben in der DDR verbracht“ und sind nun von Abschiebung und täglichen Anfeindungen bedroht. In krassem Gegensatz zur vorherigen Filmpraxis des In-den-Mund-Legens und Drübersprechens verzichtet dieser Film auf jeglichen Off-Kommentar und Musik.

Sorge 87
D 2017, 10′ | R: Thanh Nguyen Phuong – Filmquelle. Thanh Nguyen Phuong

„Sorge ist der Ort, den ich nie vergessen werde. Der Ort, an dem meine Eltern Fuß fassten – als Vertragsarbeiter in der DDR. In ihrer, neuen zweiten Heimat. Einer Heimat, die auch meine wurde.“ (Thanh Nguyen Phuong)

Gäste: Thanh Nguyen Phuong (Filmemacherin, Kommunikationsdesignerin) und ihre Schwester Nguyen Phuong Thuy