Vogtland

[Als ich im Spätsommer 2004 durchs Vogtland gewandert bin, habe ich ein paar Tage in der kleinen Waldhütte meines Bruders bei Joditz Rast gemacht und aufgeschrieben, was ich die Tage vorher gesehen und gehört hatte. Die letzte Nacht vor Joditz hatte ich bei Hannes und Christel P. verbracht, in Krebes, einem kleinen Dorf am Fuß des „Burgsteins“, unweit der früheren Grenze auf der sächsischen Seite, im früheren Zimmer ihres Sohnes, der nicht mehr im Haus wohnt und den sie nie erwähnten. Ich habe den Nachmittag und Abend mit Hannes verbracht, weil Christel Spätschicht in der Spielothek in Berg hatte und erst um Mitternacht nachhause kam.]

100 Mann hätte die Grenze beschäftigt allein in Gutenfürst. 100 Mann beschäftige heute der Cousin seiner Frau, der sich mit Elektrotechnik selbständig gemacht hat. 24 Dienstwagen habe der mittlerweile, die Kennzeichen alle mit seinen Initialen: EK. Und für mindestens 100 Mann sei früher in der Gaststube des Burgsteins Platz gewesen. Die Plauener Geschäftsleute seien nach Krebes gekommen, weil der Burgstein ein Treffpunkt gewesen wäre. Bis Pirk seien sie mit dem Zug gekommen. In der Neumühle hätten sie schon das erste Mal Rast gemacht, so genau wisse er das allerdings nicht. Ich habe es nachgesehen auf der Karte: Neumühle, keine Viertelstunde Fußweg von Pirk. Dann seien sie auf den Burgstein herauf gekommen, wo es Röster gegeben hätte und Bier.

Sein Vater hat den Hof 1939 gekauft, als dieser total herunter gewirtschaftet war. Einem Geschwisterpaar hätte der vorher gehört, aber die seien der Sache nicht Herr geworden. Auf 25 Hektar Land nur 1 Kuh! Ich habe keine klare Vorstellung davon, wieviel 25 Hektar sind, aber 1 Kuh versteh ich. Wir gingen den Hof und die Wiesen ein Stück ab, weil Hannes die Tiere füttern musste und ich gerne mitgehen wollte. Hinter dem Hof liegen mehrere Gärten, von denen der erste für die Enten, der zweite fürs Gemüse und der dritte für die Obstbäume ist und für das Gras, von dem er jeden Abend eine Schubkarre voll für die Hasen mäht. Der Vater sei eigentlich Zimmermann gewesen und hätte den Hof gar nicht haben wollen, aber nebenbei hätte er ihn auch nicht führen wollen, wo er ihn einmal hatte, und also habe er die Gebäude neu gedeckt und die Ställe neu eingerichtet, habe die Felder bestellt und sei Voll-Landwirt geworden. Es konnte ja keiner wissen, was dann alles kommen würde. Erst der Krieg, den wir verloren haben, und dass danach alles besetzt wurde und wir zu den Russen kamen. Dann kam das Soll und schließlich die LPG. „Erst der Krieg und dann das Soll, wer hätte denn das wissen sollen?“ Das habe dem Vater arg zugesetzt, auch gesundheitlich. Der Vater habe hart gearbeitet, aber irgendwie kein Glück gehabt. Auch er selber habe den Hof dann erst gar nicht haben wollen. „Ich wollte nie Landwirt werden“, und er lacht dabei. Aber nun, ach ja, einer musste es machen, und dann habe er den Hof übernommen im Grenzgebiet der DDR.

Weg wollte er nicht, aber er hätte lieber was Kleineres gehabt, das Haus mütterlicherseits, oben im Dorf, wo sie kurz nach dem Krieg das Dach komplett erneuert haben, als alle ihnen sagten, sie sollten es lieber abreißen das Ding und weg damit. Und als das Dach drauf war, war das Haus trocken, aber leer erst mal. Dann sei die LPG gekommen und habe dort ihr erstes Büro eingerichtet. Später, als die LPG größer geworden sei und ein größeres Büro gebraucht habe, sei das Haus wieder leer gewesen und dann sei die Schwester eingezogen mit ihrem Mann. No jo. Der Mann lebe nicht mehr, aber die Schwester wohne noch drin.

Er erzählt das alles ohne Groll. Man muss das Leben nehmen, wie es kommt, sagt er desöfteren, und auch dass er es im Nachhinein gesehen gar nicht so schlecht getroffen habe. Dass er eigentlich froh sei, dass er Landwirt gelernt habe, dass es ihnen alles in allem nicht schlecht gegangen sei, schlechter zwar als denen drüben, aber das sei jetzt alles egal. Vieles sei längst egal. Dass die Frau kurz nach der Wende gefeuert worden sei aus einer Stellung, wo ihr arbeitsrechtlich eine Abfindung zugestanden hätte. Man habe damals eben noch nicht so genau Bescheid gewusst, aber es sei im Nachhinein eben auch egal, weil die Frau nun in Berg in der Spielothek arbeite, wo sie viel ordentlicher bezahlt werde und wo es ihr alles in allem auch Spaß mache. Ohne die Arbeit der Frau würde es nicht gehen. Aber was heißt schon: Es geht oder es geht nicht. Es geht immer irgendwie, wenn es muss, aber die Frau braucht das auch, die Arbeit, sie will gar nicht ohne. Und dann soll sie auch. Später schaut er sich einmal den Abendbrottisch an, den er für mich und sich gedeckt hat und meint: Es geht uns doch gut, wenn ich mir das anschaue. Das gab es früher nicht. Und mit früher meint er nicht die DDR, sondern die Zeit davor und die ersten Nachkriegsjahre. Der Einschnitt war der Krieg, das Leben war die DDR. Die Wende war eine Veränderung, um die es ihm im Nachhinein nicht leid tut, aber er hätte es auch ohne die Wende ausgehalten.

Es sei schon ein bisschen besonders gewesen, im Grenzgebiet zu leben. Besuch hätte nur mit Erlaubnis kommen können, Familie ersten Grades, der Bruder aus Plauen, das wäre noch gegangen, aber schon die Cousine sei eine nicht ganz einfache Sache gewesen. Die Weiden seien am Anfang bis an die Grenze gegangen, dann sei es immer schärfer geworden, man habe nur noch mit Aufsicht auf die Felder gedurft. Später seien die Felder dann verlegt worden. In den 50er Jahren sei die Grenze ja passierbar gewesen. Man habe schon gewusst, wo sie ist, wo die Schlagbäume sind. Auch später wusste man, wo die S…-Maschinen waren ( ich glaube, er meinte die Selbstschussanlagen), aber man wusste eben auch, wo die Schalter waren, mit denen man sie unschädlich machen konnte. Erst später sei alles viel schärfer geworden und man hätte gar nicht mehr raus gedurft an die Grenze. „Bei uns, da kann man sicher sein, hatte jeder nochmal eine Extra-Bewachung, da gab es nochmal extra so viele…“ – er spricht es nicht aus: IM, Stasi-Spitzel? Aber auch das, denke ich mir, ist ihm im Nachhinein egal.

Ein bisschen schläfrig noch flick ich mich zusammen, wie ich mir gerade vorkomme und im Spiegel entgegen getreten kam: mit kurzer Khakihose und Jean Pauls Siebenkäs, mit Prasselfeuer fürs Wäschewasser und mit dem Fenster auf zur Saaleschleife und einem Scherenschnitt der letzten Tage im Kopf. Und Träumen, die mir merkwürdig amtlich vorkommen nach einem Mittagsschlaf in der Sonne auf dem Saalegrat. Mit mir allein sein und die Aussicht dessen für ein paar Tage macht mich immer ein bisschen fahrig (innen) und verhockt (außen), als gäbe es mich wirklich zweimal und der eine sei nur zu Gast. In der Saaleschleife ist in Sachen Nahrungskette immer was los, stets stakst ein Reiher durchs Wasser, gestern ein Storch, oben drüber kreisen Habichte, einen Milan glaubte ich gestern erkannt zu haben, im Fluss sieht man ab und an ein Köpfchen dunkel auftauchen, einen Otter vielleicht oder einen Waschbär. Die Vögel kreisen unter einem, wenn man von hier oben runterschaut. Ihr Kreischen klingt glücklich, voll Übermut, wie das von Kindern bei Neuschnee. Gestern kam ein Kanute den Fluss entlang und brauchte etwa 5 Minuten, um mit der Strömung das Panorama zu passieren. Es ist ein toller Blick, ein immer leichter Schwindel. Die Erde, auf der man steht, von der man schaut, sieht man nicht.

„Mach dei Zeig“, hat mir der Hannes ein paar Mal gesagt, wenn ich andeutete, dass ich für ein paar Minuten auf mein Zimmer gehen oder aufs Klo und damit seinen Redefluss unterbrechen müsse. Beim ersten Mal klang es grob und ich erschrak etwas, dachte, vielleicht war seine Freundlichkeit so brüchig und gebrochen jetzt. Aber es hieß nur: Du hast alle Freiheit, fühl dich wie Zuhause, und die Grobheit in der Stimme war vielleicht Hannes’ eigenes Erschrecken darüber, dass er sich einem Fremden gegenüber so offen und arglos zeigte. „Zeig“ waren übrigens auch die Tiere, außer dem Hund und dem Pferd („Pfer“), da sie nicht zum Essen da sind. Der Arzt habe ihm von Schweinfleisch abgeraten, meinte er, und nach einer Pause: „Ich habe zuviel Harnsäure im Blut“, als spreche er von einer Geschlechtskrankheit.

Von seinen Kindern, fällt mir nun ein, hat er so gut wie gar nicht gesprochen, nur vom Enkel, und auch von dem nur solange er im Haus war zum Fernsehen. Irgendwann war der wieder nach Hause gegangen, ein paar Häuser weiter, hatte den Opa mit dem Fremden in der Küche sitzen und von Harnsäure reden lassen. Schweinefleisch müsse er sich also verknusen, aber ab und an schlachte er ein „Schof“ und das schmecke ihm und sonst essen sie halt „Hos“. Mit den Hasen habe er Glück, toitoitoi, sagte er, als wir im Stall standen und er ihnen das frisch Gemähte in die Kästen stopfte, dass sie dahinter fast verschwanden. Er wolle ja nicht auf Tierschauen fahren mit denen, sondern essen wolle er die und da müsse er sich keinen Kopf machen um Rassereinheit und Zuchtmerkmale wie andere, die dann jammern, wenn ihnen die Tiere wegstürben. Kreuz und quer vermenge er die Hasen und schmecken täten sie alle. Ein Weibchen hat gerade zum zweiten Mal im Jahr geworfen. Er hat ein bisschen ein schlechtes Gewissen: 2 Mal ansetzen, das gehe an die Substanz. Er wählt ihr eine extra frische Handvoll Gras aus. „Das andere können die anderen fressen“, als sei ihm das mit einem Mal unter der Hand verdorben. Neun fingergroße Fellwürstchen in der Ecke erkenne ich nun, die Ohren zittern sich schon aus den Köpfchen hervor, die Augen sind schon auf, aber das Nest drängt sich noch zusammen wie ein zuckendes, atmendes Ganzes. An die 20 Käfige werden das gewesen sein, in jedem mindestens 4 Hasen. Eine solide Fleischbank. Als alle Käfige mit Gras gestopft waren, sah man keine Hasen mehr, hörte nur noch das Mümmeln und das Rascheln des Grases, das bis morgen abzutragen ist. Zu Gold versponnen wie vom Rumpelstilzchen.

Wenn in der Hütte etwas fällt, dann fällt es immer wieder. Oder man muss sich sehr viel Zeit lassen beim Wiederhinstellen, Proberütteln. Es hat sich alles über die Monate des Leerstands in der Dunkelheit einen Platz und festen Halt gesucht und wäre wohl jahre-, jahrzehntelang nicht von dort gewichen, gerutscht oder gefallen. Irgendwann hätte vielleicht das Wetter oder der Holzwurm ein Etwas mürbe gemacht und weich, und dieses Etwas, eine Wand, eine Bohle, ein Tischbein, hätte nachgegeben. Dann aber wäre vieles mitgefallen und mitgerutscht und hätte vieles seinen Ort gewechselt und nach diesem großen Rutschen hätte alles anders ausgesehen. Aber wenn sich alles wieder einen neuen Platz gesucht habe, zuende gekullert und gesackt sei, wäre alles wiederum in dieser neuen Stellung geblieben für Jahre, Jahrzehnte in der Dunkelheit. Licht braucht es nicht, damit etwas ins Rutschen kommt. Und deshalb sieht auch alles starr aus, wenn man einen solchen Raum dann nach langer Zeit einmal betritt, die Türen und Fenster aufmacht und Licht reinlässt, weil das Licht den Dingen gar nichts bedeutet und sie damit gar nichts anzufangen wissen. Die Schritte aber, das Vibrieren, das bringt sie ins Rutschen und rüttelt sie aus der Starre, und solange man da ist und den Raum bewohnt, werden die Dinge nicht zur Ruhe kommen. Erst wenn man wieder weg ist, wird alles wieder an seinem Platz sein, von dem es sich erst wieder bewegt, wenn die Zeit den nächsten großen Schritt getan hat. Ich kann Markus verstehen, dass er hier leben wollte, aber ich begreife nicht, wie er es gemacht hat. Oder: Es ist mir fremd, vielleicht weil ich glaube, dass man sich mit der Zeit fremd wird. Oder dass man sich vertrauter wird, als man erwartet hatte und einem lieb ist. Über manches wäre man froh, man wüsste es nicht.

Hannes meinte, er sei im Nachhinein froh, dass er den Hof übernommen habe, da es immer etwas zu tun gebe und er es auch tun könne. Zu DDR-Zeiten habe man sich zu helfen wissen müssen. Da konnte man niemanden anrufen und sagen: Bau mir mal ne Heizung ein. die Heizung hat er sich selbst eingebaut ins Haus und auch die Sauna, dort wo früher der Kälberstall war, im Erdgeschoss, in das man aber hinunter geht wie in einen Keller. Als sie ′63 die Tiere abgegeben haben, sei das Erdgeschoss eigentlich nicht mehr trocken zu kriegen gewesen und man hätte etwas unternehmen müssen. Alles Eigenbau, den Ofen von einem Freund, den dieser wiederum selbst gebaut habe. Es gehen momentan nur 3 von 8 Brennstäben, aber es geht auch so, nur dauert es länger, bis es heiß ist. Wenn ich mal Zeit habe, sagt er, und dran denke, dann reparier ich den.

In der Sauna redet Hannes langsamer, vornübergebeugt, der Schweiß tropft ihm von der Stirn vor die Füße. Zeitweise hat er die Augen geschlossen und schweigt, so dass es aussieht, als schlafe er. Aber früher oder später, erzählt er weiter, wenn er sich für ein neues Thema entschieden hat. Er erzählt gelassen, mit Zeit. Er hat auch deshalb so viel zu erzählen, weil er es gut getroffen hat mit dem Hof, mit der Frau, weil es immer etwas zu tun gab und weil er es auch selbst getan hat und noch tut. Er erzählt konzentriert, versucht, wenn er spricht, nicht aus dem Fluss zu kommen, und sammelt sich in den Pausen. Er hat Füllwörter parat, vor allem „Dings“ und „nix“, denen er aber auch was folgen lässt. Er redet in einfachen Sätzen meist, aber sein Dialekt klingt kompliziert, komplex gewachsen, die Tendenz des Fränkischen, die Vokale dunkler zu machen, von Has zu Hos, das leichte Quengeln des Sächsischen und der Verzicht auf die Konsonanten manchmal am Ende der Worte: Das Pfer. „Kommst mi, des Pfer füddern?“

Das Pferd ist schön, ein Isländer, gescheckt, klein und schlank. Es teilt sich die Weide mit den Schafen und alle kommen angetrottet, als wir uns nähern. „Ich hob nix mi“, ruft Hannes dem Pferd schon von Weitem entgegen, aber es kommt trotzdem. Er hat den Tieren einen Unterstand gebaut für den Regen. Die Schafe passen da bequem drunter, für das Pferd hat er das Dach schräg nach oben verlängert, aber es ist trotzdem knapp. Es hat eine Weile gebraucht, bis das Pferd drunter gegangen ist. Jetzt tut es das und es passt scho, der Arsch schaue manchmal raus, sagt Hannes. Hannes gestikuliert nur selten beim Reden und wenn er es tut, dann beschäftigt es ihn, so dass er aufhört mit Reden, um die Geste sauber ausführen zu können, etwa die Größe der Tiefgarage anzudeuten, die sich sein Glückspilz-Cousin für die Firmenwagen gebaut hat. Oder die Größe des Saals im Burgstein, in dem es immer noch zu Himmelfahrt jedes Jahr ein Fest und einen Gottesdienst gebe.

Ich habe heute Nacht von einem geträumt, der ein Messer und einen Schleifstein hatte. Das Messer hat ihm eine Anzeige eingebracht, es sah nicht gut für hin aus. Wir saßen auf einer Polizeiwache und der Polizist war wütend auf ihn. Ich fürchtete mich etwas vor ihm. Er streckte mir das Messer mit der Klinge entgegen, ich solle nehmen. Aber ich sagte ihm, er solle mir den Schleifstein geben. Das Messer nahm ihm der Polizist ab. Der Schleifstein kam von Hannes, der seine Sense gedengelt hatte, bevor er das Hasenfutter mähte. Wo das Messer herkam, weiß ich nicht, auch nicht wer der Mann war, mit dem ich mich trotz meiner Abneigung vorübergehend solidarisch fühlte.

Der Hermann Vogel, würde er heute leben, wäre ein Grüner, könnte man sagen, meint Hannes. Die Natur sei dem alles gewesen, der Wald, die Vögel. Hermann Vogel war ein vogtländischer Heimat- und Mundartdichter und auch Bildermaler und er lebte in Krebes. Bekannt sei er geworden, weil er die Märchen der Brüder Grimm illustriert habe. Ein Kauz sei er auch gewesen, ein Original. Man sagt, er sei den ganzen Tag in den Wäldern und auf den Wiesen gewesen und hätte eine Papiermanschette am Unterarm getragen, auf der er dann seine Skizzen gemalt hätte, wenn ihn etwas inspiriert hätte. Und diese Skizzen seien dann die Vorlagen für die späteren Bilder gewesen. Es gibt ein Hermann-Vogel-Haus im Dorf, dessen Garten gleich an den von Hannes und seine Weide grenzt. Das Haus sieht aus wie eine Mischung aus Hexenhaus und Villa Kunterbunt, man könnte sagen erzgebirgischer Jugendstil. Dort hatte ich zuerst nach einem Zimmer gefragt, als ich in den Ort kam, aber die Ferienwohnung, die man dort tatsächlich vermietet (für 18 Euro, wie ich von Hannes später erfuhr), war belegt und der Hausmeister gab mir dann den Tipp mit Hannes. Und wahrscheinlich habe ich es besser getroffen − im Nachhinein − mit Hannes in der Sauna über das Hermann-Vogel-Haus zu sprechen, als dort eine frühe und vielleicht kühle Nacht einzuläuten, ohne von Hannes jemals etwas gesehen oder gehört zu haben als allenfalls das Pfer oder auch nur dessen Arsch.

Das Hermann-Vogel-Haus sei nach der Wende für viel Geld renoviert worden und Hannes deutet an, dass er selbst einmal angeregt habe, man könne doch einen Teil der Räume als Ferienwohnung vermieten, wenn man nicht alles für das Museum brauche. Das einzige, was er bedauere, sei, dass den Gästen der Dachgarten nur während der Öffnungszeiten zur Verfügung stehe, also bis halb 5. Danach sei eine Alarmanlage eingeschaltet, die auch das Begehen des Dachgartens verhindere. Hannes meinte, die Hausverwaltung könne von Plauen aus feststellen, ob der Schlüssel nur einmal herumgedreht sei. Und dann schickten die extra jemanden her, den Schlüssel ein zweites Mal herumzudrehen, oder riefen den Hausmeister an. Das sei eine hochmoderne Sicherheitsanlage und schade sei eben, dass keiner abends auf der Dachterrasse sitzen dürfe, denn das sei ganz wunderbar (und dabei nimmt er wieder die Hände zu Hilfe): der Wald, die Wiesen, der Burgstein und dann, wie dort die Sonne untergehe, das sei traumhaft, und ich frage mich, wann er das einmal gesehen hat von dort, oder ob er es tatsächlich nur geträumt hat. Es hat mich sehr für ihn eingenommen, dass er die Fremden, die dort gelegentlich einkehren, darob bedauert, dass sie um diesen Genuss kommen und seinen Traum nicht mitträumen können. Es ist schön jemanden zu treffen, der den Ort liebt, an dem er lebt, und sein Leben dort, und der das gerne teilt.

Der Jean Paul tauchte bei Hannes auf, als er von Christels Arbeit erzählte. Die habe zunächst im „Schang Pol“ Hotel in Schwarzenbach gekellnert. Das sei aber irgendwann nicht mehr gegangen, das hätte die Gesundheit der Christel nicht mehr mitgemacht. Die hätten dort oft Schulungsgruppen gehabt, und man mache sich ja keine Vorstellung, was solche Schulungsgruppen für ein Stehvermögen hätten. Die Schulungen seien nicht selten bis 9 Uhr abends gegangen und dann hätten die noch alle essen wollen und hätten danach das Trinken angefangen. Das sei dann nicht selten bis 3, 4 Uhr gegangen und die Christel sei dann erst um 5 zuhause gewesen. Und tagsüber schlafen hätte sie dann nicht können, aber um 1 Uhr musste sie schon wieder den Dienst antreten. Überstunden und Nachtzuschläge hätte es da auch nicht gegeben, das sei alles in allem eine Sauerei gewesen und es sei ein Glück und gut, dass die Christel die Stelle in Berg bekommen hätte. In Plauen hat sie auch schon mal in einer Spielothek gearbeitet, aber da habe es auch keine Zuschläge und einen viel geringeren Grundlohn gegeben. In Berg gäbe es ordentlich alle Zuschläge und mittlerweile bekämen sie dort auch Fahrgeld. Das sei schon viel besser, und die Christel erzählte mir am nächsten Morgen, dass die Spielothek in Berg etwas Besonderes sei, schön sei die, mit einer Palme, ein bisschen in Richtung Las Vegas, meinte sie. Sie fühle sich wohl dort. Es sei gut für die Angestellten, dass dort kein Alkohol ausgeschenkt werden dürfe. Wo Alkohol ausgeschenkt wird, das nenne sich dann Billard Café, meinte Hannes, und das sei schon was ganz anderes. Die Kunden seien teils Durchreisende, teils Ortsansässige. Es gäbe aber auch viele Stammkunden, in beiden Gruppen. Z.B. eine Gruppe Buben, 18jährige, die alle Freunde seien, die kämen regelmäßig und hätten sich bis vor Kurzem immer zum Black Jack Spielen verabredet und dann einen ganzen Abend Black Jack gespielt. Die mag sie. Das findet sie toll, wenn die so einen Spaß daran hätten, es gehe denen auch gar nicht ums Geld, die spielten nie um viel. Vor Kurzem sei der Black Jack aber rausgekommen und stattdessen sei ein Bingo reingekommen. Das sei auch nett, meint Christel, mit mehreren Bildschirmen. Andernorts sei das Bingo voll eingeschlagen, in Berg aber nicht, und die Buben seien ganz traurig gewesen. „Was, der Black Jack ist weg?“ Sie kommen immer noch und spielen jetzt Roulette. Die Belegschaft hätte aber schon angemerkt, dass das Bingo nicht gut laufe und ob man nicht den Black Jack wieder bekommen könne. Könnte sein, dass der bald wieder da steht, meint Christel. Auch hier nimmt es mich ein, wie sie sich an der Freude anderer freut.

Als ich am nächsten Mittag in Joditz gerade ankomme und auf die Brücke gehe, hält neben mir die Christel in ihrem Polo auf dem Weg zur Arbeit. Sie hatte mir morgens angeboten, mich mitzunehmen, aber der Hannes hat gleich ausgerufen: Der ist doch zu Fuß unterwegs! Und es war nun der allergrößte Zufall, dass wir uns gerade dort trafen, wo unser beider Wege sich für lediglich 100 Meter kreuzten, denn ich war eine Stunde abseits der Straße gelaufen und praktisch erst in diesem Moment wieder auf den asphaltierten Weg getreten und würde gleich hinter der Brücke nach Joditz hineingehen und damit schon wieder aus dem Blickfeld der Straße heraustreten. Vielleicht fahr ich morgen Abend mal mit Markus hoch nach Berg. Christel hat morgen Spätschicht.