Worin unsere Stärke bestand

Werkschau Kasseler Filmkollektiv

Filmstill Der Löwe (1969)
Filmstill aus Der Löwe (1969)

Unter dem Titel Worin unsere Stärke bestand zeigte das 36. Kasseler Dokfest (13.-17.11.2019) die bis dahin umfassendste Werkschau von Filmen des Kasseler Filmkollektivs und der Filmarbeit am hessischen Landesjugendhof Am Dörnberg. Der Jugendhof Dörnberg war in den 60er Jahren eine der größten staatlichen Bildungsstätten in der BRD. Mit seiner auf Autoritätskritik ausgerichteten Pädagogik galt er als besonders progressiv und war konservativen Kräften entsprechend ein Dorn im Auge. Eine hartnäckige, von der Monopolzeitung Hessische Allgemeine und der NPD lancierte Diffamierungskampagne gegen den Jugendhof beschäftigte 1969 über ein Jahr den hessischen Landtag und ließ erkennen, welche Einsätze bei der politischen Bildungsarbeit auf dem Spiel standen.

In dem kritischen und für künstlerische Experimente offenen Umfeld am Dörnberg entwickelte sich ab 1967 auch eine experimentelle Filmarbeit,
die in einer kurzen aber intensiven Phase (bis 1972) eine Vielfalt an kurzen und mittellangen Filmen hervorbrachte. Am produktivsten war dabei eine Gruppe, die im Kern aus Gerhard Büttenbender, Adolf Winkelmann und den Geschwistern Jutta und Gisela Schmidt bestand und die später als „Kasseler Filmkollektiv“ bezeichnet wurde.

Innerhalb des „Anderen Kinos“ der späten Sechziger Jahre spielten die „Kasseler“ für kurze Zeit eine durchaus zentrale Rolle und der Dörnberg wurde zu einer Art Labor der Bewegung, wo Werner Nekes, Dore O., Harun Farocki, Hartmut Bitomsky, Günter Peter Straschek u.a. Seminare besuchten oder gaben. In der gängigen Filmgeschichtsschreibung ist davon jedoch wenig hängen geblieben. Die Werkschau war denn auch die erste umfassende Retrospektive der filmischen Arbeit am Dörnberg. Sie wurde begleitet von Gisela Getty (ehemals Schmidt), Adolf Winkelmann, Christian Rittelmeyer und weiteren Zeitzeugen und aus der Ferne maßgeblich unterstützt von Gerhard Büttenbender. Kuratiert haben das Programm Peter Hoffmann und Tobias Hering.

Im Zuge der Vorbereitung der Werkschau konnte eine Reihe von Filmen, die bislang nur als 16mm Kopien vorlagen und zum Teil Unikate waren, mit Unterstützung der Uni Kassel digitalisiert werden. Verleihkopien der Digitalisate werden beim Verein Organisation zur Umwandlung des Kinos e.V. Ronnenberg verwahrt.

In der Werkschau wurden in vier Programmen folgende Filme gezeigt:

31 SPRÜNGE / BRD 1967 / 4:00 Min. / Regie: Adolf Winkelmann

ADOLF WINKELMANN, KASSEL, 9.12.67, 11h54 / BRD 68 / 8:00 Min. / Regie: Adolf Winkelmann

ES SPRICHT: RUTH SCHMIDT / BRD 1968 / 12:00 Min. / Regie: Adolf Winkelmann

MEINE LIEBEN / BRD 1968/69 / 6:00 Min. / Regie: Adolf Winkelmann

DER HÖCHERL / BRD 1969 / 15:00 Min. / Regie und Produktion: Kollektiv Büttenbender Schmidt Winkelmann

VERTRAUENDE LIEBE – GLÜHENDER HASS / BRD 1969 / 29:00 Min. / Regie und Produktion: Kollektiv Büttenbender Schmidt Winkelmann

DAS SEMINAR / BRD 1967 / 32:00 Min. / Ausschnitt: 1. Teil „Geschichtsstunde“ (12:00 Min.) / Regie: Werner Nekes und Bazon Brock,

GURTRUG I / BRD 1967 / 12:00 Min. / Regie: Werner Nekes

JÜM-JÜM / BRD 1967 / 10:00 Min. / Regie: Werner Nekes und Dore O.

DER LÖWE / BRD 1968/69 / 10:00 Min. / Regie: Wilhelm Winkelmann

DER GOLDENE SCHUSS – AUS DER SERIE HAUPTSACHE W. PARKINSON / BRD 1969 / 8:00 Min. / Regie: Winfrid Parkinson

OBERHAUSEN 1969 / BRD 1969 / 45 Min. / Ausschnitt (8:00 Min.) / Regie: Claudia von Alemann

HEINRICH VIEL / BRD 1969 / 36:00 Min. / Regie: Gisela Büttenbender und Jutta Schmidt / Produktion: Büttenbender/Grün/Schmidt/Winkelmann

DAS ANDERE KINO / 1. Tendenzen im deutschen Untergrund / 2. Was ist anders am anderen Kino? / 3. Filme für Zielgruppen / BRD 1969 / 3 x 30:00 Min. / Regie: Adolf Winkelmann / Buch: Christian Rittelmeyer

WORIN UNSERE STÄRKE BESTEHT / BRD 1971 / 54:00 Min. / Regie: Gerhard Büttenbender und Adolf Winkelmann / Kamera: David Slama / Ton: Rüdiger Ebel / Schnitt: Büttenbender/Winkelmann / Pädagogische Konzeption und Leitung: Dörnberg-Team und Studenten der Uni Ffm: Behrend, Brandtscheid, Büttenbender, Müller, Grösch u.a.

STREIK BEI PIPER & SILZ / BRD 1971/72 / 31:00 Min. / Regie: Gerhard Büttenbender und Adolf Winkelmann / Mitarbeit: Katrin Seybold / Kamera: David Slama / Ton: Rüdiger Ebel / Schnitt: Adolf Winkelmann / Musik: Gottfried Stramm / Darsteller: Schauspieler des Düsseldorfer Schauspielhauses

Im Januar 2020 wurde die Werkschau mit leicht veränderter Programmfolge im Kino Arsenal in Berlin wiederholt.