Montage Kaiss al-Zubaidi | Kurzfilme 1965-1981

Filmstill aus Far from the Homeland (Kaiss al-Zubaidi, 1969)

„Montage Kaiss Kais al-Zubaidi“ war ein zweitägiges Programm im Kino im Sprengel in Hannover im November 2019 mit kurzen und mittellangen Filmen, an denen Kaiss al-Zubaidi als Regisseur, Kameramann und/oder Cutter mitgewirkt hatte. Es setzte zum einen den Dialog mit Kaiss al-Zubaidi fort, der im Mai 2019 auf den Kurzfilmtagen begonnen hatte, als dort Omar Amiralays selten zu sehender Essayfilm An Thawra (On Revolution, Jemen 1976) gezeigt wurde, den al-Zubaidi geschnitten hat. Zum anderen war das Programm eine Gelegenheit, Studentenfilme internationaler Absolventen der HFF Babelsberg zu sehen, an denen Kaiss al-Zubaidi mitgewirkt hatte und die bereits im Zuge der Recherchen für das Programm In deutscher Gesellschaft von Interesse waren.

Kaiss al-Zubaidi hat ab 1962 an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Babelsberg zunächst Schnitt und dann Kamera studiert. In der arbeitsteiligen Atmosphäre der Filmschule war der gebürtige Iraker in beiden Metiers ein gefragter Mitgestalter von Filmen seiner Kommiliton*innen. 1967 legte er seinen eigenen Diplomfilm Im Möwenflug der Jahre vor, das Portrait eines Hiddenseer Fischers, und arbeitete dann noch mehrere Jahre bei der DEFA, u.a. in der Produktionsgruppe von Karl Gass, dessen Ernst-Busch-Portrait Vorwärts die Zeit! (1968) er geschnitten hat.

Ab Ende der 60er Jahre war Kaiss al-Zubaidi am Aufbau einer unabhängigen palästinensischen Filmarbeit beteiligt, arbeitete in der Abteilung Kultur und Information der PLO in Damaskus und Beirut sowie für das syrische Fernsehen und die staatliche syrische Filmorganisation. Durch seine transnationale Biografie wurde er ein wichtiger Mittler des arabischen Films für die DDR und später auch die BRD. Sowohl auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche als auch bei den Kurzfilmtagen Oberhausen liefen seine Filme wiederholt im Wettbewerb. Ruf des Landes war 1978 der erste Film eines arabischen Filmemachers, der in Leipzig eine Goldene Taube gewann. Ein Jahr später wurde Hisar Muthad (Gegenbelagerung) in Oberhausen mit dem Preis der Internationalen Jury ausgezeichnet.

Viele Filme von Kaiss al-Zubaidi sind bildpolitisch vom Nahostkonflikt geprägt und zeigen gleichzeitig einen mit poetischem Sinn begabten „Monteur“. Montage, so Kaiss al-Zubaidi heute, sei von Anfang an das gewesen, was ihn am Filmemachen begeistert habe. Als roter Faden verbindet die Filme des Programms daher seine charakteristische Schnittarbeit, die sprunghafte Kontraste setzt, assoziative Bögen baut und als wesentliches Ausdrucksmittel hervortritt.

Die Werkschau umfasste kürzere Filme aus der Babelsberger Zeit und den ersten Jahren in Damaskus, darunter eigene Regiearbeiten sowie Filme anderer Regisseure, an denen Kaiss al-Zubaidi mitgewirkt hat. Einige dieser Filme waren bei dieser Gelegenheit vermutlich zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Seit Anfang der 1990er Jahre lebt Kaiss al-Zubaidi wieder vorwiegend in Berlin und ist vor allem als Zeitzeuge und Historiker des arabischen Films weiterhin präsent.

Das Programm wurde kuratiert von Tobias Hering in Zusammenarbeit mit Kaiss al-Zubaidi und war Teil des Projekts re-selected der Kurzfilmtage Oberhausen. Es wäre ohne die großzügige Unterstützung durch die Filmuniversität Babelsberg nicht möglich gewesen, besonderer Dank geht dort an Corinna Erkens, Katja Krause, Cristina Marx und Robert Schaller. Gedankt sei für die Unterstützung der Recherche auch Irit Neidhardt. Um die durchweg raren Filmkopien zu schonen, wurden alle Filme in digitaler Projektion gezeigt. Kaiss al-Zubaidi war an beiden Abenden anwesend für längere Filmgespräche.

Programm

Tag 1: Babelsberg

Ausflug
1966, 6′, ohne Dialoge |Buch, Montage: Kais al-Zubaidi, Bildgestaltung: Kaiss al-Zubaidi, Halim Mustafa

In seiner ersten Kameraübung an der Babelsberger Filmschule klagt Kaiss al-Zubaidi den Staatsterror der im Irak regierenden Baath-Partei an. In „expressionistisch“ geschnittenen Bildern spielen Potsdamer Schauspielstudenten ‒ darunter Winfried Glatzeder (später bekannt durch Die Legende von Paul und Paula) ‒ die kurze Geschichte einer Inhaftierung und Exekution. Fragmente aus Picassos „Guernica“ stellen einen universellen Kontext her.

Nordlandfahrer
1965, 18′ | Regie: Jürgen Steinheißer, Montage: Kaiss al-Zubaidi

Kurzdokumentation über „Hilfseinsätze“ von sächsischen FDJlern in der „schlechtesten LPG“ Mecklenburgs. Was hier als Solidaritätsleistung heroisiert wird, wurde von vielen mecklenburgischen Bauern als Zwangskollektivierung erlebt und bekämpft. Der Film dokumentiert somit ‒ im Subtext und den Bildern ‒ einen fundamentalen Konflikt innerhalb der DDR-Gesellschaft.
Die möglicherweise ambivalente Haltung, die der Film dazu einnehmen sollte, wird durch einen kurzen, kaum hörbaren Dialog zwischen einer männlichen und einer weiblichen Stimme über den letzten Bildern des Abspanns zum Ausdruck gebracht. Im Flüsterton sagt die Frau: Du bist ein Scheusal, und er: Du weißt doch, dass ich dich hasse.

Olingo
1966, 11′ | Buch, Regie: Emile Itolo, Kamera, Montage: Kais al-Zubaidi

Ein afrikanischer Student auf Wohnungssuche in Berlin. Als frei inserierte Wohnungen werden ihm aus offensichtlich rassistischen Motiven verwehrt. Die Begegnung mit einem unvoreingenommenen Jungen schafft einen vorübergehenden Kontrapunkt. Ein Kameraschwenk zu Beginn des Films verortet die Handlung im Westen der Stadt.

Im Möwenflug der Jahre
1967/68, 15′ | Regie, Kamera, Montage: Kais al-Zubaidi

In seinem Diplomfilm porträtiert Kais al-Zubaidi einen Hiddenseer Fischer, in dessen Biografie sich die Wegmarken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegeln. In der hier gezeigten kürzeren Fassung, die 1979 in einer Studentenfilm-Retrospektive in Oberhausen lief, ist die Selbstbeschreibung des Fischers zwar von einem Sprecher neu eingesprochen, aber unverändert belassen. Für eine erste, längere Fassung hatte Paul Freyer einen Voiceover geschrieben, der die Lebensgeschichte des Fischers jeglicher politischer Konnotationen beraubt.

Freiheit über alles
1968, 12′ | Regie: Kamal Aga (Saydo), Montage: Kais al-Zubaidi

Eine beißende Montage aus Archivaufnahmen, die in formaler Anlehnung an Santiago Àlvarez‘ Now die USA für die Verbrechen des Vietnamkriegs anklagt.

Tag 2: Damaskus

The Visit
1970, 9′, ohne Dialoge | Produktion: Syrian General Organisation for Cinema, Regie, Kamera: Kais al-Zubaidi, Montage: Haitham Qoutly

The Visit basiert auf demselben Drehbuch wie Ausflug. Das „Remake“ ist in Syrien gedreht und verlagert die Erzählung vom Irak in die Westbank. Statt „Guernica“ wird hier ein Gemälde des palästinensischen Malers Natheer Nabaa zur bildlichen Referenz.

Far from the homeland
1969, 11′, OmE | Produktion: Syrian Arab Television, Regie, Kamera, Montage: Kais al-Zubaidi

Der Film zeigt Kinder im Flüchtlingscamp Sbeineh bei Damaskus, wo in der Folge des Sechstagekriegs Tausende Palästinenser Zuflucht fanden. In wenigen Worten erzählen sie von ihrem Alltag und ihren Zukunftsvorstellungen. Lachend kommentieren sie die dokumentarischen Aufnahmen des Lagers aus dem Off.

Hisar Muthad (Gegenbelagerung)
1978, 20′, OmU | Produktion: PLO Bureau for Information and Culture, Regie und Montage: Kais al-Zubaidi

Aus Filmaufnahmen verschiedener Quellen schneidet Kais al-Zubaidi eine Alltagsbeschreibung des Lebens von Palästinensern unter israelischer Kontrolle. Die ständige Latenz von Konflikt und Gewalt wird zum Spannungsverhältnis zwischen den Bildern. Gegenbelagerung wurde auf den Kurzfilmtagen Oberhausen 1979 mit einem Hauptpreis ausgezeichnet.

Fakhani 17. Juni 1981
1981, 4′ | Produktion: Hochschule für Film und Fernsehen der DDR, Gestaltung: Kais al-Zubaidi, Mahmoud Khalili

Eine einzige Plansequenz ‒ ein Kameragang über die Ruinen des von Bomben zerstörten Beiruter Stadtteils Fakhani ‒ wird zu einer wortlosen Anklage.

An Thawra (On Revolution)
1976/1980, 30′, OmU | Produktion: Demokratische Volksrepublik Jemen, Regie: Omar Amiralay, Kamera: George Lofty, Montage: Kais al-Zubaidi

Im Auftrag der jemenitischen Regierung sollte der syrische Filmemacher Omar Amiralay einen Film machen, der die Errungenschaften des revolutionären Prozesses herausstellt. Was Amiralay im Jemen drehte, schnitt al-Zubaidi in Damaskus zu einem Film, der mehr Essay als Manifest wurde, eher die Kontinuität der Ausbeutung von Bauern und Fischern belegte, als das Hohelied ihrer Befreiung zu singen.